55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
mächtig zu sein.
Als kurz vor zwölf der Zug nach Thionville bereitstand, stieg Herr Maçon in ein Coupé zweiter Klasse, und ihm folgte ein junger Mann, welcher enge graue Hosen, feine Lackstiefel, ein beschnürtes Samtjacket, einen breitkrempigen Hut und gelbe Handschuhe trug. Er hatte eine umfangreiche Mappe unter dem Arm, und es konnte gar kein Zweifel darüber obwalten, daß er ein Künstler, ein Maler sei.
Als sie in Thionville ausstiegen, stand der alte Kapitän von Schloß Ortry auf dem Perron, um seinen hohen Besuch zu bewillkommnen. Herr Maçon, welcher hier wieder Graf Rallion war, klopfte dem Alten freundlich auf die Achsel und fragte:
„Nun, Kapitän, Sie haben meine Depesche erhalten, wie ich sehe?“
„Vor zwei Stunden. Ich beeilte mich sofort, Sie zu empfangen“, antwortete der Gefragte.
„Ich stelle Ihnen hier den Kapitän Lemarch vor, welcher als Maler nach Berlin gehen wird; in welcher Angelegenheit, das brauche ich so einem alten Schlaukopf, wie Sie sind, nicht erst zu sagen. Nicht?“
Der Alte blinzelte mit den Augen, zog den Schnurrbart empor und fletschte die Zähne, als ob er ganz Berlin zerbeißen möchte, nickte dem jungen Offizier vertraulich zu und sagte:
„Sie gehen als Maler, wie es scheint. Machen Sie Ihre Sache gut, damit diese Prussiens endlich den Lohn erhalten, den sie längst verdient haben.“
„Der Kapitän wird sich Mühe geben; ich bin davon überzeugt“, antwortete der Graf anstelle des Offiziers. „Haben Sie eine Equipage mit?“
„Zwei. Die andere für Ihre Bedienung.“
„Gut. Fahren wir.“
Nach kurzer Zeit rollten die beiden Wagen auf der Straße dahin, welche von Thionville nach Ortry führt. Das erste Dorf war bereits durchfahren, als die drei einen ganz eigentümlich gekleideten Menschen bemerkten, welcher vor ihnen auf der Straße herging. Er trug weite, orientalische Hosen, welche unter dem Knie zusammengebunden waren, und an den Füßen Sandalen. Strümpfe und Gamaschen fehlten, so daß die hageren, braunen Beine zu sehen waren. Eine rote, mit unechten Tressen besetzte Jacke bedeckte den Oberleib. Um die Hüften hatte er einen alten, blauen Shawl geschlungen, in welchem verschiedene fremdartige Gegenstände steckten, deren Bestimmung sich unmöglich erraten ließ. Unter der vorn offenen Jacke war ein Hemd zu sehen, welches sicher vor langen Jahren einmal weiß gewesen war, und auf dem Kopf des Fremdlings thronte ein Fez, welcher einen geradezu riesigen Umfang hatte. Über die Schulter hing diesem Mann ein großer Ledersack, dessen Inhalt in Bewegung zu sein schien; es mußten sich lebendige Geschöpfe in demselben befinden. Das Gesicht des Mannes schien nur aus einem mächtigen Vollbart, einer braunen Nasenspitze und zwei Augen zu bestehen, welche unter schweren Lidern verdeckt lagen.
Als die Wagen herangerollt kamen, blieb der Mann stehen, um sie vorüberzulassen. Seine Lieder hoben sich langsam, und seine Augen blickten gleichgültig unter ihnen hervor. Kaum aber war ihr Blick auf die Insassen des ersten gefallen, so belebte er sich in auffälligster Weise. Die Augen nahmen den Glanz glühender Kohlen an und schienen aus ihren Höhlen treten zu wollen. Im nächsten Augenblick hatte sich der Mann jedoch beherrscht. Er lehnte sich an einen der Chausseebäume und ließ, als der Wagen im Begriff stand, vorüberzufahren, ein halblautes, eigentümliches Zischen hören.
Sofort bäumten sich die Pferde und waren durch keine Anstrengung des Kutschers von der Stelle zu bringen. Er gebrauchte die Peitsche; er schnalzte mit der Zunge; er bat mit zuredenden Worten, vergeblich. Der Fremde stand dabei und richtete seinen halbverschleierten Blick scharf auf den alten Kapitän. Dieser wandte sich mit einer drohenden Handbewegung zu ihm und rief ihm zu:
„Kerl, siehst du nicht, daß die Pferde vor dir scheuen! Pack dich fort!“
„Scheuen?“ fragte der Mann mit tiefer Stimme. „Vor mir hat noch nie ein Pferd gescheut; aber alle Pferde gehorchen meinem Wink. Wem gehört dieser Wagen?“
„Was geht das dich an, Vagabund? Ich sage dir, pack dich, sonst lasse ich dich vom Kutscher von der Straße peitschen!“
„Ich fürchte ihn nicht!“ antwortete der Fremde ruhig. „Wenn ich erfahren haben werde, wohin die Wagen gehören, werde ich den Pferden befehlen, zu gehorchen, und dann könnt Ihr weiterfahren, eher aber nicht!“
Der alte Kapitän zuckte höhnisch die Achsel und gebot dem Kutscher, die Fahrt fortzusetzen, aber dieser war nicht imstande, dem
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