55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
Korans.“
„Aus dem Koran waren diese Worte?“
„Ja. Unter der Tür betete sie die erste Sure des Korans, welche ‚die Eröffnung‘ genannt wird, und das zweite Gebet war aus der dreizehnten Sure, welche ‚Rad der Donner‘ heißt.“
„Sie war eine Mohammedanerin“, gestand Marion. „Ich zittere vor Furcht, ich bebe vor Entsetzen, den Geist der Mutter gesehen zu haben. Lassen Sie uns fliehen!“
„Und wenn es nun kein Geist war, wenn es nun ein Mensch gewesen wäre?“
„Herr, lästern Sie nicht! Lassen Sie uns gehen!“
„Bitte, bleiben Sie nur einen einzigen Augenblick hier! Ich werde ihr folgen. Ich muß sehen, wo sie geblieben ist.“
„Um Gottes willen, nein! Ich habe so sehr Angst. Verlassen Sie mich nicht! Gehen Sie nicht fort von mir! Ich muß heim; ich muß zu Gott beten, damit er der Mutter die ewige Ruhe schenke. Kommen Sie!“
Sie zog ihn fort, hinaus in den nassen Wald, und er mußte ihr folgen. Als sie zwischen den Felsen dahineilten, warf Marion unwillkürlich einen Blick zurück und deutete erschrocken nach der Zinne der Ruine. Dort oben stand die weiße Gestalt mit hoch erhobenen Händen, nach Osten gewendet, wo Mekka liegt mit dem Stein der heiligen Kaaba. Man hörte die Worte ihres lauten Gebetes herabschallen, dem Gewitter nach, welches nach Morgen zog. Hinter ihr leuchtete im Westen die untergehende Sonne, und über ihr stand ein Regenbogen in herrlichen Farben. Müller hatte das Gespenst des Turms gesehen, aber das Geheimnis nicht berühren dürfen.
VIERTES KAPITEL
Verschwörer
Die Stadt Metz, eine Festung ersten Ranges, war zur Zeit Napoleons des Dritten der Sitz einer der einundzwanzig Militärdivisionen des Landes und gehörte mit den Divisionen von Straßburg, Besançon und Chalons sur Marne zum Militärkommando des Ostens, welches sein Hauptquartier in Nancy hatte.
Metz war eine echte deutsche Stadt, denn als Lothar der Jüngere seine Länder teilte, kam es nebst Austrasien in den Besitz Ludwigs des Deutschen, also an das deutsche Reich. Nur fortgesetzten französischen Umtrieben und Hinterlistigkeiten gelang es, zunächst die Schutzherrschaft über Metz und im westfälischen Frieden sogar die volle Souveränität über diese wichtige Stadt zu erhalten.
Der Besitz von Metz ist eine Kardinalfrage aller Zeiten zwischen Deutschland und Frankreich gewesen, und ehe das letzte, große, entscheidende Wort durch die Stimmen der Kanonen gesprochen wurde, war diese Festung nicht nur der Hauptstützpunkt, sondern auch der Ausgangspunkt unzähliger Feindseligkeiten, welche Deutschland von seinem nimmersatten Nachbar zu erleiden hatte.
Eines der größten und prächtigsten Hotels der Stadt, das Hotel de l'Europa, lag im schönsten Teil der Stadt, ganz in der Nähe der Eisenbahn, und wurde besonders von vornehmen Herrschaften frequentiert, welche hier alles vereint fanden, was imstande ist, den oft hochgeschraubten Ansprüchen dieser Art Leute zu genügen.
Im Frühjahr 1870 erfreute sich dieses Hotel eines besonders zahlreichen hohen Besuches. Metz zeigte zu dieser Zeit eine ganz besondere Lebhaftigkeit des militärischen Lebens, obgleich man recht gut wußte, daß nicht viel darüber gesprochen werden sollte. Hohe Offiziere kamen und gingen; man wußte nicht, woher, wohin und weshalb. Und obgleich sie meist in Zivil waren, so besaßen doch der Besitzer sowie die Bedienung des Hotels de l'Europe, wo diese Herren gewöhnlich abstiegen, Scharfblick genug, um zu wissen, daß man es in ihnen mit einflußreichen Militärs zu tun hatte, deren Anwesenheit vermuten lasse, daß irgend etwas kriegerisch Wichtiges im Werke sei.
Seit einigen Tagen bewohnte ein älterer Herr einige der besten Zimmer des Hotels. Er hatte mehrere Diener bei sich, und auf seinen Koffern waren die Bahnsignaturen noch nicht entfernt worden, so daß der Hausknecht deutlich die Worte Paris und Nancy hatte lesen können. Der Herr kam also aus der Hauptstadt über das Hauptquartier des Ostens nach Metz, ein Umstand, welcher wohl geeignet war, allerlei Vermutungen Raum zu geben. Er nannte sich sehr einfach Monsieur Maçon, aber einer der Kellner, welcher in einem der feinsten Cafés des Louvre serviert hatte, behauptete, diesen Herrn sehr gut zu kennen: er sei nicht einfacher Bürger, sondern Graf Rallion, der erklärte Günstling des Kaisers.
Dieser Kellner schien nicht unrecht zu haben, denn bei näherer Beobachtung stellte sich heraus, daß Herr Maçon dem Divisionskommandeur, dem Festungskommandanten und
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