55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
anderen hochgestellten Herren häufige Besuche machte und von ihnen in einer Weise behandelt wurde, welche auf eine ausgezeichnete Distinktion schließen ließ.
Gestern abend hatte er der Dienerschaft befohlen, sich für heute zur Abreise bereitzuhalten, da er mit dem Zug, welcher elf Uhr fünfzig Minuten von Metz abgeht, nach Thionville zu fahren gedenke und dort also zwölf Uhr sechsundvierzig Minuten eintreffen werde.
Bereits neun Uhr kam ein junger Herr, welcher wie ein Offizier in Zivil aussah, und fragte, ob Herr Maçon zu sprechen sei. Als der Fremde um seinen Namen gebeten wurde, gab er eine Karte ab, auf welcher in zierlicher Schrift zu lesen war: „Bernard Lemarch, Escadronchef.“ Dieser Lemarch war also Kavalleriekapitän, Rittmeister. Er wurde angemeldet und auch sogleich vorgelassen. Herr Maçon empfing ihn zuvorkommend, ließ ihn sich niedersetzen, bot ihm sogar eine Zigarette an, und nun entwickelte sich eigentümlicherweise eine ganz ähnliche Szene wie in Simmern zwischen dem General und dem Rittmeister Königsau.
„Ich habe im Zimmer Ihres Obersten eine Kreidelandschaft gesehen, welche von Ihrer Hand sein soll, Kapitän?“ fragte Maçon.
„Es ist eine kleine Studienarbeit von mir, mein Herr“, antwortete der Gefragte.
„Eine Studienarbeit, welche aber doch eine gute Übung verrät. Ich glaube, Sie könnten recht gut die Rolle eines Landschaftsmalers durchführen.“
„Sie würde mir nicht schwerfallen.“
„Das ist mir lieb zu hören. Kennen Sie mich, Kapitän?“
Der Offizier lächelte und entgegnete:
„Heute habe ich das Vergnügen, mit Monsieur Maçon zu sprechen.“
„Und wie würden Sie mir unter anderen Umständen antworten?“
„Alsdann würde ich die Ehre haben, mich bei dem Grafen Rallion in Audienz zu befinden“, antwortete der Kapitän mit einer Verbeugung.
„Gut; ich sehe, daß Sie mich kennen. Ich habe von Ihnen gehört. Man ist mit Ihnen zufrieden, und ich stehe daher im Begriff, Ihnen Gelegenheit zu geben, sich auszuzeichnen.“
Das Gesicht des Offiziers erhellte sich vor Freude, und er antwortete schnell:
„Ich werde diese Gelegenheit benutzen, Ihnen zu beweisen, daß es mein eifrigstes Bestreben ist, mich nützlich zu machen!“
„Wohl! Ich vernehme, daß Sie der deutschen Sprache mächtig sind?“
„Vollständig. Ich bin bei Straßburg geboren.“
„Würden Sie es fertigbringen, in Berlin für einen Deutschen zu gelten?“
„Ich hoffe es; nur müßte ich mich als ein solcher zu legitimieren vermögen.“
„Man wird Sie mit dem Notwendigen versehen. Hören Sie, was ich Ihnen zu sagen habe!“
Der Graf steckte sich eine neue Zigarette an, gab seinem hageren, gelben Gesicht einen wichtigen, diplomatisch schlauen Ausdruck und fuhr fort:
„Man fühlt sich in die Notwendigkeit versetzt, an einen Krieg mit Deutschland zu denken. Man gedenkt nicht, mit der Tür in das Haus zu fallen, sondern sich vorher erst gehörig zu orientieren. Der letzte deutsch-österreichische Kampf hat zur Evidenz beweisen, daß die preußische Heeresleitung sehr weitgehend und vorsichtig ist. Es steht zu vermuten, daß Preußen so scharfsinnig ist, unsere Absicht zu erraten und infolgedessen seine Vorbereitungen zu treffen. Darüber müssen wir natürlich Gewißheit haben. Wir müssen zweierlei wissen: erstens ob wir durchschaut werden, und zweitens, welche Gegenminen man uns legt. Verstehen Sie mich?“
„Vollkommen, mein Herr.“
„Eine solche Aufgabe können wir unserer offiziellen, diplomatischen Vertretung natürlich nicht in die Hand geben. Wir bedürfen einer privaten Kraft, welche geeignet ist, diese Forschungen anzustellen. Dazu gehört allerdings ein Mann, welcher neben den sehr notwendigen militärischen Kenntnissen auch Schlauheit, Scharfsinn und sogar Mut genug besitzt, den Feind zu überlisten. Dieser Mann soll mit den nötigen Legitimationen und Empfehlungen nach Berlin gesandt werden; er wird Anweisungen bekommen, wie er sich zu verhalten hat; man wird ihm Summen zur Verfügung stellen, zunächst für seine persönlichen Ausgaben, da er anständig aufzutreten hat, und sodann auch für andere, unvorhergesehene Zwecke. Es könnte sich ja wohl eine kleine Bestechung oder etwas derartiges als notwendig herausstellen. Dieser Mann müßte ebenso klug wie taktvoll, ebenso kühn wie vorsichtig sein. Seine Aufgabe ist voraussichtlich keine leichte, doch wird auch die Belohnung eine dementsprechende sein. Sie wurden mir empfohlen, Kapitän. Welche Antwort habe
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