55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
schüttelte abermals den Kopf und fragte weiter:
„Wohnt ein Mann dort mit großem, grauem Schnurrbart?“
„Ja; der Vater des Barons.“
„Wie heißt er?“
„Eigentlich sollte man meinen, daß er auch Sainte-Marie heißt; dies ist aber nicht der Fall, denn der Baron ist erst vor Jahren geadelt worden und hat seinen jetzigen Namen vom Kaiser empfangen. Er hieß vorher Richemonte, und so heißt der Alte noch.“
Hassan horchte auf. Seine Augen aber versteckten sich womöglich noch tiefer unter die Lider als vorher, und er gab sich Mühe, im gleichgültigsten Ton zu fragen:
„War dieser Alte Soldat?“
„Ja. Er hat unter dem großen Kaiser gefochten und soll auch unter Kabylen gewesen sein, als was, das weiß ich nicht.“
„Hat der Alte ein Weib gehabt?“
„Natürlich, da der Baron sein Sohn ist.“
„War dieses Weib Französin?“
„Das läßt sich denken; aber ich habe sie nicht gekannt, da die Sainte-Maries erst seit einigen Jahren hier wohnen. Die Frau des Alten muß seit langer Zeit bereits tot sein.“
„Haben Sie niemals etwas von einem Weib gehört, welches Liama hieß?“
„Liama?“ fragte der Wirt rasch. „Das war die erste Frau des Barons.“
„Des Barons? War der Baron auch in der Kabylie?“
„Das weiß ich nicht. Aber seine erste Frau hieß Liama und ist eine Heidin gewesen. Ihr Grab liegt tief im Wald beim alten Turm, und ihre Tochter lebt noch.“
Die Augen des Fremden schossen einen übermächtigen Strahl der Freude unter den Lidern hervor, doch im nächsten Augenblick erklang im ruhigsten Ton die Frage:
„Eine Tochter hat jene hinterlassen? Wie heißt sie?“
„Marion.“
„Hat sie nie anders geheißen?“
„Warum sollte sie jemals anders geheißen haben? Ihre Frage klingt außerordentlich kurios.“
So unterhielten sich die beiden noch lange Zeit. Hassan erfuhr alles, was der Wirt von Ortry und seinen Bewohnern wußte. Er hörte auch, daß der Geist Liamas noch oft am alten Turm zu sehen sei. Endlich brach der Fremde auf. Als er sich auf der Straße allein befand, schüttelte er den Kopf und sagte in seinem südlichen Dialekt:
„Diesen alten Richemonte suche ich. Er ist's; ich irre mich nicht. Allah hat meine Schritte endlich doch noch zum Ziel geleitet; aber Liama, die Tochter der Wüste, ist gestorben. Ich werde sie rächen. Wer aber ist diese Marion? Wer ist dieser Baron de Sainte-Marie? Wer ist der Geist, der sich im alten Turm sehen läßt? Mohamed, der Prophet der Gläubigen, sagt, daß das Weib keine Seele habe. Wie kann also die Seele eines Weibes nach dem Tod desselben gesehen werden? Ich werde nach Ortry gehen und die Spuren verfolgen, welche ich gefunden habe; dann kehre ich zum Scheik zurück, um ihm zu sagen, daß die Zeit der Rache endlich doch noch gekommen ist.“
Seine Augen leuchteten wild auf, als er diese Worte murmelte. Und sein Mund ließ ein höhnisches Lachen erschallen, als er fortfuhr:
„Wird er mich erkennen? Oh, nein. Der Gram hat mein Gesicht durchfurcht und mein Fleisch vom Leib gefressen. Und wenn er erführe, wer ich bin, ich fürchte ihn doch nicht. Sind sie nicht alle erschrocken über meine Schlangen? Hat ihnen nicht Allah den Verstand genommen, daß sie nicht begreifen, warum die Pferde mir gehorchen? Waren es nicht Pferde der Wüste, welche alle dem Zeichen der Wüste gehorchen? Und wenn jene Menschen mich bedrohen, so werde ich ihnen meine Künste zeigen, und sie werden sich fürchten und mich für den Satan halten.“ –
Unterdessen waren die beiden Wagen auf Ortry angekommen und die Insassen derselben von den Bewohnern des Schlosses bewillkommnet worden. Marion hatte den Grafen mit Ehrerbietung begrüßt, aber nicht die mindeste Veranlassung zu der Annahme gegeben, daß sie sich freue, den Vater ihres Verlobten zu sehen. Er erhielt die besten Gemächer des Schlosses angewiesen, während der falsche Maler die Wohnung des ermordeten Fabrikdirektors bezog, wo man die noch sichtbaren Blutflecke mit Teppichen bedeckt hatte.
Es wurde zunächst ein kurzer Imbiß eingenommen, und dann begab sich der alte Kapitän mit den beiden Rallions nach dem Eisenwerk. Die geheimnisvolle Inspektion sollte beginnen. Lemarch begann sich zu langweilen, nahm seine Mappe und begab sich nach dem Garten, um das Schloß von dieser Seite abzuzeichnen und dem Kapitän mit dem Bild dann ein Geschenk zu machen.
Dort saß auf einer Bank, gerade da, wo die beste Stelle zum Zeichnen war, Müller, der in einem Buch las. Er blickte auf, sah den
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