56 - Die Liebe des Ulanen 02 - Napoleons letzte Schlacht
sollte!“
„Hierher? Wer sucht Pferde in diesem Dickicht? Übrigens ist jetzt nicht die Zeit der Pilgerwanderungen. Steck deine Waffe zu dir, und komm!“
„Wann werden wir oben anlangen?“
„Es führt kein eigentlicher Weg hinauf. Stunden vergehen sicherlich, ehe wir die Höhe erreichen.“
„So wird es ja dann Nacht.“
„Eben das ist ja meine Absicht!“
Der andere blickte Richemonte fragend an.
„Was wollen wir des Nachts da oben? Wird er da zu sprechen sein?“
„Zu sprechen? Was fällt dir ein. Will ich denn mit ihm sprechen?“
„Was sonst? Wie willst du anders ihn aushorchen oder Auskunft über ihn erlangen?“
„Dummkopf! Deine Liebe zu der Maurin hat dich wirklich um den Verstand gebracht. Dieser Marabut wohnt mit seinem Sohn oben. Sie werden nicht stumm sein, sondern miteinander sprechen. Sie werden sich über ihre Lage, über ihre Vergangenheit unterhalten. Wer dies belauschen kann, wird dieses erfahren. Das Lauschen aber ist am leichtesten abends, wenn es dunkel ist. Binde das Pferd so an, daß es Raum hat, die Blätter abzufressen, und dann wollen wir keine weitere Zeit verlieren.“
Die beiden sahen sich gezwungen, sich durch dichtes Gestrüpp und über zahlreiche Felsentrümmer langsam und mühselig empor zu arbeiten. Als sie den Aufstieg begannen, war bereits die erste Hälfte des Nachmittags verstrichen, und als sie endlich oben anlangten, hatte die Sonne soeben den westlichen Horizont erreicht.
Sie hielten unter den Bäumen, wo sie nicht bemerkt werden konnten, und sahen eine nicht tiefe, aber breite, lichte Stelle vor sich, auf welcher sich die Hütte des Eremiten befand. Diese war aus rohen Steinen errichtet und mit Kalk angestrichen, so daß sie, von früh bis abends von der glühenden Sonne getroffen, auf Meilenweite hinaus in die Ebene leuchtete.
„Wird er zu Hause sein?“ flüsterte der Cousin.
„Natürlich! Oder hast du nicht in Seribet Ahmed gehört, daß er die Hütte nie mehr verläßt?“ antwortete Richemonte.
„Ich meine den Sohn.“
„Das ist etwas anders. Wir müssen es abwarten.“
Sie brauchten nicht lange zu warten, so sahen sie einen Menschen; aber er trat nicht aus der Hütte des Marabut, sondern er kam aus den gegenüberliegenden Büschen und schritt auf die letztere zu.
Sein Gesicht war gebräunt, er mochte gegen dreißig Jahre zählen und trug einen langen, kamelhärenen Burnus, welcher mit einem derben Strick um den Leib befestigt war, sowie einen grünen Turban, ein Vorrecht derjenigen Moslemin, welche von dem Propheten abstammen. Waffen waren bei ihm nicht zu sehen, aber an dem Strick hingen mehrere kleine Säckchen, welche verschiedenes zu enthalten schienen.
Beim Anblick der untergehenden Sonne hielt er seinen Schritt inne. Er wendete sich dem Osten zu, in der Richtung nach Mekka, kniete nieder und verrichtete mit lauter Stimme sein Abendgebet. Aus der offenstehenden Hütte antwortete eine zweite Stimme, deren Ton ein müder, dumpfer war.
Als der Beter geendet hatte, schritt er, nachdem er sich vom Boden erhoben hatte, auf die Hütte zu und trat in dieselbe ein. Ihr Inneres war geradezu armselig. Auf dem Boden lag eine breite Schicht von Moos, in einem Mauerloch ein aufgeschlagenes Buch, der Koran in arabischer Sprache, und in einer Ecke erblickte man einige alte Töpfe und Tiegel, denen man es ansah, daß sie zur Zubereitung von Pflastern und Salben dienten.
Auf dem Moos lag eine menschliche Gestalt, welche in ein ähnliches härenes Gewand eingehüllt war. Man sah nur dieses Gewand, den grünen Turban und ein unendlich hageres, eingefallenes Gesicht, welches mehr einem toten als einem lebenden Wesen anzugehören schien.
„Sallam!“ grüßte der Eintretende.
„Sallam!“ antwortete der Alte auf dem Lager. „Gab Allah seinen Segen?“
„Ja, Vater. Der Kranke wird genesen.“
„Allah sei Dank. Er gibt Freude den Sündern und Bußfertigen.“
Der Alte sprach sehr langsam und fast leise. Man hörte deutlich, daß ihm das Reden schwer wurde. Und wie sich unter dem schlechten Gewand seine Brust fieberhaft hob und senkte, hatte es ganz das Aussehen, als ob er ein Sterbender sei, dessen Geist im Begriff stehe, mit den letzten, hastigen Atemzügen den befreienden Weg aus dem schwachen, engen Körper zu suchen.
Der Angekommene öffnete die kleinen Säckchen und Schachteln und entnahm ihnen mehrere Büchsen und Schachteln, welche er zu den Töpfen und Tiegeln legte. Der Alte beobachtete dies schweigend, während seine sehr
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