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56,3° Im Schatten

56,3° Im Schatten

Titel: 56,3° Im Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Rebhandl
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Kukuruzkolben einen Rock gebastelt hat, und so ist sie auf den Tisch gestiegen und hat getanzt wie die doppelt und dreifach Gestörte, daher dem Biermösel seine Abneigung gegen das Tanzen.
    Zwar beherrscht er selbst auch alle Fortbewegungsmöglichkeiten, die in so einem Bierzelt nachgefragt werden: auf den Knien, am Bauch, im Kriechgang, im Krebsgang, rollend, wankend, schwankend, rückwärts-seitwärts-vorwärts und so weiter und so fort, er kann es bei der Fortbewegung wirklich mit allen im Bierzelt aufnehmen. Nur tanzen kann er halt nicht. Er hat ja mit seinen Gehwerkzeugen nie die Möglichkeiten gehabt, eine Frau um den Finger zu wickeln, zum Fred Astaire der Tanzböden hat er mit seinen Elefantenfüßen nicht heranwachsen können, seine Wut auf die davongerannte Biermösel-Mama und den französischen Hüftschwinger haben insbesondere immer die Zehen der angebeteten Damen zu spüren bekommen. Über den Tanzboden ist der Biermösel nämlich schon auch oft geflogen, aber halt nicht, weil er die Polka im Blut gehabt hätte, sondern den Marillenschnaps und den Zirbengeist. Seine Tanzschritte hießen „Rache“ und „Wut“, und sein Name war „Eisen“. Der Doktor Krisper hat noch heute die Röntgenbilder von ein paar zertrümmerten und zertretenen Zehen bei sich in der Praxis an der Wand herumhängen, die auf das Konto vom Biermösel seinen zwei Mördern gegangen sind, Amputation inklusive. Und wer genau hinschaut, der sieht noch heute im Tal die eine oder andere in die Jahre Gekommene mit schmerzverzerrtem Gesicht herumrennen, und jeder kann sie an ihrem Holzstock als ehemalige Tanzpartnerin vom Biermösel erkennen, sobald das Wetter umschlägt, aber Gott sei Dank schlägt das Wetter jetzt nicht mehr um, denkt sich der Biermösel trotz allem zufrieden, und hoppala, plus 45,8 ° im Schatten.
    Anders als der Alte, der nach dem Krieg langsam an der heimischen Schafskälte auf den Bergen und in den Herzen der Menschen verzweifelt ist und letztendlich Fliegenfischer geworden ist, hat sich die Biermösel-Mutti dann nicht mit der Aussicht auf seine Fische begnügt, sondern ist mit dem erstbesten Sommerfrischler durchgebrannt, der in der saftigen Heimat die starken ausländischen Zigaretten geraucht und ausgeschaut hat wie ein Franzose, und der dann halt sogar einer gewesen ist, so ein Glück muss man erst einmal haben!
    Aber natürlich: des einen Glück, des anderen Leid.
    Der depperte Franzose hat dem Biermösel nämlich nicht nur seine Mutti weggenommen, sondern auch gleich ihre gewaltigen Milchglocken, an denen er auch noch als heranwachsender Rotzbub, der er damals war, noch sehr gerne gehangen ist, das war dann natürlich schon sehr traurig.
    „Erzähl weiter, Biermösel, wie war es genau?“, wühlt der Doktor Krisper routiniert in den Wunden seines schwierigsten Patienten, aber zuhören tut er ihm natürlich nicht mehr, weil er den ganzen Scheißdreck schon ein paarmal gehört hat, und zwar ein paarmal zu oft:
    „Humtata-Sonntag anno 52, ich war gerade einmal fünf Jahre alt und noch immer nicht von ihren Milchglocken entwöhnt, da bin ich unter dem Tanzboden im Bierzelt gelegen, wohin die Alte mich immer gesperrt hat, wenn sie zu Tanzveranstaltungen außerhalb von der Wirtsstube aufgebrochen ist, und von wo aus ich hinauf unter die Röcke von den Weibern habe schauen müssen, vielleicht daher meine Scheu vor dem anderen Geschlecht?“
    „Möglich.“
    „Jedenfalls: draußen das Wetter schlecht, drinnen im Bierzelt die Stimmung aufgeheizt und schwül, stickig und voller Lust und Leidenschaft, sodass ich mich weiter an die Hitze habe gewöhnen können.“
    „Und weiter?“
    „Dann ist der Franzose aufgetaucht und hat sie um den nächsten Tanz gebeten, aber was heißt hier Tanz? Der hat ihr während einer langsamen Polka einfach das Knie zwischen die fleischigen Schenkel gedrückt und das ganze dann ,Tango‘ genannt, und dann war da nur noch Sehnsucht nach den Sternen, und jeder mit ein paar Augen im Schädel hat sehen können, dass es nicht Tanzen war, sondern …“
    „Sondern was?“
    „Körperliche Liebe. Schmutzige, alles verzehrende, dampfende körperliche Liebe ohne Punkt und Beistrich, Himmelmutter hilf!“
    Am Anfang, erinnert sich der Biermösel weiter, haben noch alle Einheimischen über den ausländischen Trottel und seine neumodischen Tanzschritte gelacht, eine einheimische Polka schaut nämlich anders aus! Aber wie sie dann gesehen haben, was der mit der Alten aufgeführt hat und wie sehr

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