56,3° Im Schatten
ihr das gefällt, während ihre eigenen Weiber lieber an den baldigen Selbstmord gedacht haben als an den nächsten Tanz mit der eigenen Hornhaut, da haben sie ihn in seinem schwarzen Rollkragenpullover und mit seinem schwarzen Oberlippenbärtchen lieber mit den genagelten Schuhe zusammengetreten, weil er zwar kein Neger war, was sein einziger Vorteil war, aber natürlich auch kein Einheimischer, was sein großer Nachteil war:
„Nicht du tuen tanzen tun! Du tuen schauen, wie tuen gehen tanzen bei wir!“, haben die Einheimischen zu ihm gesagt, und dann haben sie ihn zum nächsten Tanz aufgefordert, der natürlich Watschentanz geheißen hat. – Prack! Zack! Peng! Und als der kleine Biermösel in seiner angeschissenen Lederhose von unter dem Tanzboden hat mit anschauen müssen, wie seiner Biermösel-Mama die heißen Tränen über die roten Wangen geronnen sind, weil sie so tief für den fremden Gesellen empfunden hat, da war dem kleinen Biermösel klar: Lange wird er nicht mehr an ihren Dutteln hängen, denn „ihre Sehnsucht war die Freiheit“, wie der Weiß Ferdl in seinem Superhit „Sehnsucht hier, Sehnsucht da, Sehnsucht hab ich ’s ganze Jahr“ auch singt, und der Doktor Kripser hat sich dann noch einmal vergewissert:
„Ihr Ziel war die Ferne?“
„Na was glaubst du!“
Wie dann am nächsten Tag die ganzen Verheerungen zu besichtigen waren, erinnert sich der Biermösel weiter an die ganz Toten und halb Toten und an die mit den Knorpelschäden und die mit den gerissenen Bändern, da war die Mama weg, und der Biermösel hat sich den Boulevard vorstellen können, auf dem sie mit dem Franzosen ins Franzosenland eingeritten ist, auf ihrem Herren-Stangenfahrrad ohne Klingel, heilige Maria! Manchmal, wenn er sich seinen depperten Stammbaum mit dem inneren Auge anschaut, dann glaubt er fast, er kommt aus einer Zweiradfahrerfamilie. Jedenfalls sieht er auf seinem ganzen depperten Stammbaum nur Leute, die mit einem Fahrrad herumgefahren sind oder eben mit einem Moped, keinen, der es zu einem vierrädrigen Kraftfahrzeug gebracht hat, geschweige denn zu einem Kettenfahrzeug. Aber der Doktor Krisper sieht natürlich wie immer mehr:
„Sehe ich bei Biermösel große dicke Hund begraben in frühe Verluste von Muttidutti.“
„Sehe ich nicht!“, hat ihm der Biermösel mit dem Leberhaken beschieden, „sehe ich einfach wirklich nicht!“
Hey Joe!
Der Biermösel liegt dann – entspannt wie der Löwe in der Savanne nach der verschlungenen Grillantilope – auf seiner Schwitzhütte in Aussee herum und führt dem System noch ein paar kühlende Bierchen zu, im heurigen Sommer freilich um den vielleicht allzu hohen Preis, dass das ganze Bier im System ausschließlich für die Kühlung der Maschine draufgeht und gar nichts mehr übrig bleibt für die erwünschten Verwüstungen im Hirn.
Der heimische Dodeleffekt will sich bei ihm jedenfalls nicht mehr so richtig einstellen, seit er praktisch alles Zugeführte in Echtzeit wieder ausstößt. Viel zu klar sieht er seither das ganze Elend der Welt, sodass er mit jedem Tag mehr zuführen muss, damit er die Welt nicht so klar sieht, Kruzifixnocheinmal, das ist halt leider ein einziger Teufelskreis, aus dem der Biermösel nur mehr sehr schwer herausfindet, außer halt immer öfter mit seinem neuen Freund Joe, aber natürlich nicht mit dem Joe, der im Bierzelt die Quetschenharmonika spielt, sondern mit dem anderen.
„Was rauchst denn du eigentlich die ganze Zeit?“, hat er schon früher einmal den Posaunisten Mathias von den Fröhlichen Herzbuben gefragt, als er ihren Tourbus vor einem Puff gestoppt und die stinkende Rasselbande mit ihren geröteten Augen herausgeholt hat. Aber der Mathias hat ihm nur seine selbstgewuzelte Zigarette in die Hand gedrückt, die ihn in Form und Größe ein bisserl an einen Baseballschläger aus Amerika drüben erinnert hat, und dann hat er ihn damals noch komplett Ahnungslosen gefragt:
„Magst vielleicht einmal mein Zeug rauchen, Biermösel?“
Das also war sein erster Kontakt mit dem Verführer, aber damals hat er natürlich noch gesagt:
„Nein, danke! Mir genügt das Verbrannte aus dem Schweinsbratenofen im Auerhahn drüben, das ich jeden Tag einatme, das genügt mir. Und der Hausbrand aus den schmucken Einfamilienhäusern, der mir immer in die Augen hineinbläst, wenn ich mich im Winter jeden Tag auf der Fips Richtung Auerhahn quäle, der genügt mir erst recht.“
Als er dann aber in die sich im Kreis drehenden und in den
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