57 - Die Liebe des Ulanen 03 - Die Spione von Paris
der Engländer seinen Feldstecher aus dem Futteral, hielt ihn an die Augen und betrachtete sich Martin mit der Sorgfalt eines Fleischbeschauers, welcher nach Trichinen sucht.
„Dieser Mann hier?“ fragte er. „Ah. Wunderbar!“
Er nahm das Fernglas von den Augen fort, schüttelte den Kopf und fragte dann Martin:
„Wer seid Ihr, Master?“
Es juckte den Telegraphisten in allen Gliedern. Er kam ganz auf denselben Gedanken, auf welchem auch sein Herr gekommen war.
„Reporter“, antwortete er.
„Reporter? Ah! Für welche Zeitung?“
„Für eine brasilianische.“
„Donnerwetter! Ihr sucht in Paris nach Neuigkeiten?“
„Natürlich!“
„Und Ihr wollt es sein, welcher die Dame gerettet hat?“
„Ja.“
„Das ist nicht wahr, Master.“
„Oho! Wollen Sie mich beleidigen?“
„Ja. Wer mich belügt, dem sage ich meine Meinung. Wollt Ihr Euch etwa mit mir boxen? Ich stehe zur Verfügung!“
Er erhob sich in kampfbereite Stellung und hatte in der Zeit von zwei Augenblicken den Frack ausgezogen.
„Danke“, lachte Martin. „Sie sind nicht der Mann, dem ich den Hals brechen möchte. Sagen Sie lieber, warum Sie mich für einen Lügner halten?“
„Ich habe den Retter bereits gesehen und mit ihm gesprochen.“
„Wo?“
„Beim General Latreau.“
„Heute?“
„Ja, am Vormittage.“
„Das stimmt. Sie meinen doch den Weinagenten Belmonte?“
„Nein. Ich meine den türkischen Reporter.“
Da ging dem guten Martin ein Licht auf. Er ahnte, daß er den gleichen Gedanken mit seinem Herrn gehabt habe und antwortete:
„Richtig. Jetzt weiß ich, daß Sie an der rechten Quelle gewesen sind. Und dennoch habe ich Ihnen keine Lüge gesagt. Ich und der Türke, wir beide haben die Dame gerettet.“
„Ihr und der Türke? Donnerwetter. Ist's wahr?“
„Ja.“
„Dachte es mir! Habe hier bei Euch nur auf den Strauch geschlagen. Der Kerl wollte nicht mit der Sprache heraus; ich bin aber klug genug, das Richtige zu finden. Also, erzählt, Master Brasilianer.“
„Das ist sehr leicht erzählt. Wir hörten, daß die Dame geraubt worden sei, wir wußten, daß sie sich in diesem Haus befand, und wir holten sie, um sie zu ihrem Vater zu bringen.“
Der Engländer sperrte den Mund erstaunt auf und fragte:
„Das ist alles?“
„Ja, alles.“
„Kein Abenteuer dabei?“
„Nein.“
„Kein Mord und Totschlag, kein Kampf?“
„Genug.“
„So erzählet!“
„Habe keine Zeit. Adieu, Master Nathanael Robinson.“
Damit war Martin zur Tür hinaus. Der Engländer starrte diese an und sagte ärgerlich:
„Verdammte Kerle! Keiner sagt ein Wort. Aber ich werde doch noch alles erfahren, alles.“
Er klappte seinen ‚Schirm-, Musik- und Rauchstuhl‘ zusammen und stieg nun die Treppen auf und ab, um sich das Innere des Hauses anzusehen; dann entfernte er sich, nachdem er noch gehört hatte, daß der eigentliche Täter, nämlich der Wirt, noch nicht ergriffen worden sei. – – –
Die Polizei hatte sich die äußerste Mühe gegeben, Vater Mains habhaft zu werden. An allen Bahnhöfen und Stadtausgängen waren Posten aufgestellt; in allen obskuren Wirtschaften und Winkeln wurde gesucht, doch vergeblich. Man hätte nicht in den Höhlen der Armut suchen sollen.
Auf der Rue de Macaire nämlich stand ein hohes, palastähnliches Gebäude, dessen Besitzer Lemartel hieß, aber allgemein unter dem Namen Roi des chiffonniers, der Lumpenkönig, bekannt war. Man erzählte sich von ihm, daß er als Knabe Lumpensammler gewesen sei und es durch Fleiß und Sparsamkeit sowie später durch eine reiche Heirat, zum Besitz von Millionen gebracht habe. Er besaß mehrere große Papierfabriken und hatte in seinem Dienst viele Hunderte von armen Teufeln, welche Tag und Nacht Paris durchwanderten, um nach Lumpen und anderen Abfällen zu suchen.
Hinter dem herrlichen Garten seines Palastes zog sich eine enge, schmutzige Gasse hin. In derselben lagen einige Häuser, welche ihm gehörten und ihm als Lagerräume für die angesammelten Abfälle verschiedener Art dienten.
Seine Lumpensammler kannten ihn persönlich; sonst aber gab es wenige Menschen, welche sich rühmen konnten, mit ihm in nähere Beziehung gekommen zu sein. Zwar fuhr er fast täglich in einer glänzenden Equipage spazieren; aber er hatte sich stets so weit in die Polster zurückgelehnt, daß man sein Gesicht nur schwer zu erkennen vermochte. Dann saß allemal eine junge Dame von außerordentlicher Schönheit an seiner Seite, von welcher man sagte, daß
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