58 - Die Liebe des Ulanen 04 - Hinter feindlichen Linien
strich mit den kleinen, quatschigen Händen die Blumen, welche sich zerstreuen wollten, zusammen, lachte, daß ihre perlenweißen Zähne erglänzten, und antwortete:
„Sie mögen recht haben; es ist das eine Gottesgabe. Der eine ist glücklich, und er weint, und der andere, wenn er lacht. Gehören Sie zu den ersteren oder zu den letzteren?“
„Zu den letzteren, also zu Ihnen, Mademoiselle!“
„Wirklich? So setzen Sie sich her. Hier, ich mache Platz!“
Sie rückte, daß auch für ihn noch Platz wurde. Das geschah so ungesucht, so einfach, so selbstverständlich, so ohne Absicht und Koketterie, daß ihr der gute Hieronymus am liebsten gleich einen Kuß gegeben hätte.
„Danke!“ sagte er. „Nun sollte ich Ihnen helfen können; aber ich habe wohl gar kein Geschick dazu.“
„Das braucht's gar nicht, denn ich werde sogleich fertig sein. Es ist das eigentlich kein Geburtstagsstrauß; aber Großvater liebt die Feld- und Waldblumen mehr als alle anderen.“
„Heute ist der Geburtstag Ihres Großvaters?“
„Ja, heut!“ nickte sie.
„Sie wohnen wohl nicht weit von hier?“
„Nein, gar nicht weit.“
„Vielleicht sehen wir uns da noch einmal wieder, ehe ich fortgehe.“
„Fortgehen? Sie sind nicht von hier? Und doch sprechen Sie so gut den Dialekt dieser Gegend!“
„Und Sie sind Französin und singen deutsche Lieder.“
„Großvater hat die Deutschen gern.“
„So ist er wohl ein Deutscher?“
„Nein. Das sagt bereits unser Name.“
„Ah, wenn ich den doch hören dürfte!“
„Warum nicht? Wir heißen Melac.“
„Pfui Teufel!“ entfuhr es ihm, geradeso wie gestern.
Und wunderbar, sie nahm ihm das nicht übel; sie zuckte mit keiner Wimper, sondern sie sah ihm offen in das Angesicht und fragte:
„Nicht wahr, Sie denken an den Pfalzverwüster?“
„Ja. Nach ihm nennt man sogar die bissigsten Bluthunde Melac.“
„Wir stammen von ihm ab; er ist unser Ahne und gerade darum hält Großvater soviel auf die Deutschen. Er denkt, er soll wenigstens mit dem Herzen die Sünden des Ahnen gutmachen, da er sie anders doch nicht sühnen kann.“
„Dann ist Ihr Großpapa ein sehr braver Mann.“
„Ja, das ist er. Ich habe ihn sehr lieb und bin ganz stolz auf ihn. Der gnädige Herr General ist ihm auch gewogen.“
„So ist Ihr Großpapa Beschließer des Schlosses? Und Ihr Vater?“
„Ich habe nicht Vater und Mutter, darum bin ich bei den Großeltern.“
„Ich wohne bei dem Verwalter Berteu.“
„Der ist tot.“
„Sind Sie mit der Familie befreundet?“
„Sie fliehen uns, und doch haben wir Ihnen nichts getan. Ich habe Großvater nach der Ursache gefragt, doch der wußte es mir auch nicht zu sagen.“
Das war ein gutes Zeugnis für die Familie Melac und ein schlechtes für die Familie Berteu. Die Melacs waren nicht gewöhnt, ihren Nebenmenschen etwas Böses nachzusagen.
„Von wem haben Sie Ihre deutschen Lieder gelernt?“ fragte Schneffke.
„Von den Großeltern. Beide sprechen deutsch. Wie lange werden Sie hier wohnen bleiben?“
„Nur einige Tage.“
„Wie schade! Wenn ich mit Ihnen spreche, so ist es als rede ich mit mir selbst.“
„Wahrhaftig, so ist es!“ stimmte der Maler ein. „Wenn ich hier wohnen bliebe, würde ich um die Erlaubnis bitten, Ihre Großeltern kennenzulernen.“
„Das können Sie ohnedies. Großvater spricht gern mit Leuten, welche über andere gerecht und billig denken. Haben Sie ihn noch nicht gesehen?“
„Ich bin heute erst zum zweiten Mal hier.“
„Nun, wenn Sie einen alten Herrn sehen mit langem, weißem Bart, der ist es. Sie können getrost eine Unterhaltung mit ihm beginnen; er liebt es sehr, seine Gedanken gegen andere auszutauschen, leider fehlt ihm hier die Gelegenheit dazu. Er schläft des Morgens länger als Großmama und ich. Nun aber wird er bald erwachen, und da muß ich mit den Blumen bei ihm sein.“
Sie erhob sich, um zu gehen. Man bemerkte, daß sie nicht recht wußte, in welcher Weise sie sich verabschieden sollte. Er war auch aufgestanden und sagte:
„Ich hätte Ihnen gern einige Blüten gepflückt für den guten Großpapa; dazu bin ich jedoch zu spät gekommen. Eins aber könnte ich zu diesem Strauß fügen, wenn ich wüßte, daß es ihm Freude bereitete.“
Sie blickte ihn erwartungsvoll an. Eine direkte Bitte oder Frage wollte sie nicht aussprechen.
„Ich bin nämlich gestern ein Dieb gewesen. Ich sah gestern einen alten, ehrwürdigen Herrn, welcher nach Ihrer Beschreibung Ihr Großpapa war. Ihm habe ich
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