58 - Die Liebe des Ulanen 04 - Hinter feindlichen Linien
den Armen; sie herzten und küßten sich; sie streichelten einander liebkosend die Wangen und schluchzten dabei vor Freude und Glück.
„Ich glaubte dich tot und verloren“, sagte Nanon.
„Gott sei Dank! Ich bin gerettet.“
„Ohne mit zerschellt zu werden! Welch ein Wunder!“
„Ja, es war ein Wunder, welches nur die Kühnheit vollbringen konnte.“
„Die Kühnheit? So ist es nicht ein Zufall, daß ich dich so unversehrt vor mir sehe?“
„Nein. Der Zug war noch in Fahrt, und die Maschine gab das Rotsignal, da ergriff mich einer der Passagiere, riß mich aus dem Wagen und sprang mit mir vom Trittbrett herab.“
„Welch eine Verwegenheit! Und welch eine Geistesgegenwart! Ist dieser Held ebenso unverletzt wie du?“
„Ja, und ich danke Gott und allen Heiligen dafür.“
„Ich ebenso. Vor allen Dingen aber gehört auch dem mutigen Mann unser Dank. Wo ist er?“
Über Madelons Gesicht breitete sich ein fröhliches, erwartungsvolles Lächeln, als sie, vorwärts deutend, antwortete:
„Der hohe, kräftige Herr, welcher dort bei den Verwundeten beschäftigt ist.“
Nanon blickte nach der bezeichneten Stelle und fragte:
„Der? Wirklich der?“
„Ja, freilich.“
Das schlug sie in höchster Überraschung und Freude die Händchen zusammen und rief:
„Das ist ja Monsieur Schneeberg, mein Freund und Bekannter.“
„Allerdings, liebe Nanon.“
„Und der hat dich gerettet, der? Das ist ja gar nicht möglich.“
„Warum sollte es nicht möglich sein?“
„War er denn im Zug? War er mit in deinem Coupé?“
„Ja. Er stieg in Trier zu uns ein.“
„Das begreife ich nicht. Ich hatte ihn doch nach dem Bahnhof in Thionville bestellt. Ich muß hin zu ihm, sofort, um ihm zu danken.“
„Ja, tue das; aber laß dir vorher diese Dame vorstellen. Meine Schwester Nanon – Miß de Lissa aus London, welche auf ganz dieselbe Weise gerettet worden ist wie ich.“
Fragen und Antworten waren einander so schnell gefolgt, daß vom ersten bis zum letzten Wort nur Sekunden vergangen waren. Erst jetzt nahm Nanon Notiz von Emma von Königsau. Sie verbeugte sich vor ihr und fragte:
„Auch Sie sind durch Schneeberg gerettet worden, Miß?“
„Wenn auch nicht direkt, aber doch mittelbar“, antwortete die Gefragte. „Wäre er nicht in unser Coupé gestiegen, so lägen auch wir beide zerschmettert unter den Wagen.“
„Der brave, gute Mensch! Ich muß wirklich sogleich hin zu ihm.“
Sie eilte fort, und die beiden anderen folgten ihr.
Fritz war eben beschäftigt, bei dem Verband eines Verunglückten mit Hand anzulegen, als Nanon seinen Arm ergriff.
„Monsieur, Sie sind es gewesen, der Madelon gerettet hat?“
Er nickte ihr freundlich zu und antwortete:
„Es war kein Verdienst von mir, sondern der reine Zufall, Mademoiselle. Sprechen wir später davon. Jetzt müssen wir diesen armen, beklagenswerten Leuten unsere ganze Aufmerksamkeit zuwenden.“
„Ja, ja, Sie haben recht. Jetzt ist der Schreck vorüber, und ich kann helfen.“
Die drei Mädchen wendeten sich an die beiden Ärzte, welche mit dem Zug gekommen waren, und baten sich deren Befehle aus.
Die beiden Franctireurs befanden sich noch bei Fritz, oder vielmehr, dieser befand sich noch bei ihnen; er war ihnen nicht von der Seite gewichen. Jetzt hatten sie den Verwundeten ergriffen, um ihn nach dem Coupé zu tragen. Fritz wollte jetzt mit angreifen, allein der eine sagte abwehrend:
„Das ist nicht nötig. Wir bringen ihn allein fort.“
„Den steilen Damm hinauf?“
„Ja, wir sind keine Schwächlinge.“
„Aber nicht in das Coupé hinein. Dazu gehören drei.“
Bei diesen Worten faßte er mit an. Es fiel ihm gar nicht ein, zurückzubleiben, und die beiden anderen konnten nichts dagegen tun, obgleich sie ihn innerlich verwünschten. Aber sie verständigten sich gegenseitig durch einen kurzen Blick, daß jetzt die geeignetste oder wohl gar die höchste Zeit zu ihrer Entfernung gekommen sei.
Sie glaubten ganz und gar nicht, daß Fritz alles wisse. Er aber hatte auch diesen Blick aufgefangen und fühlte sich Manns genug, ihre Flucht zu vereiteln. Als sie langsam mit dem Verwundeten die Böschung emporstiegen, trat der Oberschaffner, der erst jetzt Zeit dazu fand, zu dem Offizier.
„Kapitän“, sagte er, „die beiden Männer dort sind es, welche ich meine.“
Dabei deutete er nach den dreien.
„Ah! Der hohe, starke Mensch nicht, der mit bei ihnen ist?“
„Nein. Ihm vielmehr haben wir ihre Entdeckung zu verdanken. Er hält sich
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