59 - Die Liebe des Ulanen 05 - Entscheidung in Sedan
aller meiner Verwandten und versichere Ihnen dabei, daß von der Tat Ihres Vaters nicht der Hauch eines Schattens auf Sie fällt.“
Da ging ein Zug stillen Glücks über ihr schönes, bleiches Angesicht. Sie antwortete:
„Ich danke, o ich danke Ihnen, gnädiger Herr. Dieser Augenblick ist seit dem Tod meines Vaters der erste, an dem ein Strahl in das Dunkel meines Daseins fällt. Ich war fast leblos, fast konnte ich nicht denken. Und doch mußte ich handeln, um Ihnen Ihr Eigentum zurückzuerstatten. Der Krieg stand vor der Tür; man konnte nicht in die Zukunft sehen. Wer würde siegen und wer unterliegen? Ich tat, was ich für das Beste hielt. Ich wußte einen zahlungsfähigen Käufer und verkaufte ihm das Geschäft und alles, was wir besessen hatten. Den Erlös und die Summen, welche der Vater bar hinterlassen hatte, verwandelte ich beim Bankier in Anweisungen auf Berlin und reiste damit nach Deutschland, um sie zu suchen. Sie waren fort, und ich folgte Ihnen. Nun habe ich Sie gefunden. Hier haben Sie die Anweisungen, und hier ist auch die Brieftasche meines Vaters. Seien Sie überzeugt, daß Sie alles erhalten. Ich habe nichts, gar nichts für mich weggenommen. Ich habe alles, was auch ich besaß, Kleider, Ringe und Sonstiges verkauft und den Erlös dazu getan.“
Sie gab dem alten Königsau zwei Brieftaschen. Er zögerte, die Hand nach ihnen auszustrecken.
„Mademoiselle, Mädchen“, sagte er. „Sie sind ja ganz und gar des Teufels.“
„O nein. Ich gebe Ihnen zurück, was Ihnen gehört.“
„Aber das ist ja eine Großmut, welche ganz ohnegleichen ist, welche wir gar nicht akzeptieren können.“
„Nicht Großmut, sondern Pflicht ist es. Und obgleich ich es tue, stehe ich doch als Sünderin vor Ihnen und flehe Sie inständigst an, mir das zu vergeben, was an Ihnen verbrochen worden ist.“
Da streckte ihr der Alte denn doch die Hand entgegen und sagte in herzlichem Ton:
„Fräulein Lemartel, Ihnen haben wir nichts zu verzeihen, und auch – auch –“, es wurde ihm schwer, aber er fuhr doch fort: „Auch Ihrem Vater sei vergeben. Er mag in Frieden ruhen. Was aber dieses Geld betrifft – Gebhard, Richard, was sagt ihr dazu?“
Der Major antwortete, indem er sich an Agnes wendete:
„Sie haben nichts für sich behalten?“
„Nein; glauben Sie es mir.“
„Wir glauben es. Aber wovon wollen Sie leben?“
„Meine Zukunft ist gesichert. Ich gehe in ein Kloster, um für meinen Vater zu beten.“
Emma sah das schöne, brave Mädchen mitleidig an, faßte sie bei den Händen und sagte:
„Nein, nein! Das sollen Sie nicht! Das dürfen Sie nicht!“
„Ganz gewiß nicht!“ stimmte Richard bei. „Wir werden dieses Geld keineswegs annehmen. Wir werden es vielmehr an sicherer Stelle deponieren. Jetzt sind wir in Anspruch genommen, wir haben keine Zeit zu ruhiger, unparteiischer Prüfung. Ist der Krieg vorüber, so werden wir sehen, ob das Geld uns wirklich gehört und wieviel wir davon beanspruchen können. Sind Sie damit einverstanden?“
„Nein. Es gehört ganz Ihnen.“
„Das würde ja eben zu prüfen sein. Bis dahin aber ist es Ihr rechtmäßiges Eigentum, und da Sie es nicht behalten wollen, so müssen wir es eben deponieren. Großvater, Vater, ist das nicht auch eure Meinung?“
„Ja, ganz und gar!“ lautete die Antwort.
„Ich darf Ihnen nicht widersprechen“, sagte sie. „Aber ich darf Ihnen sagen, daß ich getröstet von Ihnen gehe. Sie haben mir und dem Vater verziehen.“
Sie stand auf. Emma hielt sie fest.
„Gehen Sie noch nicht“, sagte sie. „Sie sind ohne Mittel. Wohin wollen Sie sich wenden?“
„Ich werde im ersten besten Kloster, welches am Weg liegt, Aufnahme finden.“
„Was und wie denken Sie von uns! Haben Sie Verwandte oder Freunde in Paris?“
„Keinen Menschen. Ich habe sehr einsam gelebt.“
„Sie würden die Hauptstadt auch nicht mehr erreichen. Nein. Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Bleiben Sie hier bei uns. Beteiligen Sie sich an unserem gegenwärtigen Beruf. Wir gehören zur Krankenpflege. Dieses fromme, schöne Werk wird Ihr Herz beruhigen und Ihr Gemüt entlasten.“
„Ja, tun Sie das“, stimmte Richard bei. „Es ist das Beste, was Sie tun können.“
Da leuchteten ihre Augen freudig auf, und sie fragte:
„Wird man es mir denn erlauben? Wird man mich auch wirklich annehmen?“
„Ganz gewiß, Mademoiselle. Sie bleiben bei meiner Schwester und deren Freundinnen, welche sich auch hier befinden. Ist der Krieg zu Ende, so werden Sie ja
Weitere Kostenlose Bücher