59 - Die Liebe des Ulanen 05 - Entscheidung in Sedan
jetzt in sich keinen Halt und schluchzte wie ein Kind.
Da plötzlich horchte er auf. Er hörte, daß der Riegel leise zurückgeschoben wurde. Dann erklang es:
„Pst! Ist jemand hier?“
„Ja“, flüsterte er.
„Die Gefangenen?“
„Nur einer.“
„Wo ist der andere?“
„Ich weiß es nicht.“
„Nun, dann kann ich eben nur den einen befreien. Ich habe keine Zeit, das ganze Schloß zu durchsuchen. Kommen Sie.“
„Ich bin ja gefesselt.“
„Ach so! Na, ich habe ein Messer.“
Wenige Augenblicke später schlichen sie sich fort, hinaus bis dahin, wo in der Nähe des Gehölzes der Wagen stand, an welchen hinten das Reitpferd angebunden war. Sie stiegen ein, und dann setzten sich die Pferde in scharfen Trab.
Königsau hatte den Buckel wieder entfernt. Er sah geradeso wie vorher aus, ehe er ins Schloß gekommen war. Der Bajazzo erkannte ihn und sagte:
„Sie sind es! Warum befreien Sie mich?“
„Ich belauschte Ihre Begleiter und hörte, daß man Sie betrog. Ich hörte Sie sprechen. Ihre Aussprache ist eine deutsche. Sie sind ein Deutscher?“
„Ja, eigentlich.“
„Ich bin auch von drüben her. Darum beschloß ich, Sie zu befreien. Das war ganz leicht, da ich im Schloß zu tun hatte. Ich blieb nur scheinbar in Etain zurück.“
„Sie haben ja diesen Wagen.“
„Ja, den habe ich annektiert. Konnten wir zu zweien auf meinem Pferd reiten? Den Kerls, die es so schlimm mit Ihnen meinten, ist's ganz recht, daß sie den Wagen verlieren.“
„Wohin bringen Sie mich?“
„Nach Thionville.“
„O weh!“ entfuhr es ihm.
„Haben Sie keine Sorge! Ich gehe da zunächst zu einem Freund, bei dem Sie vollständig sicher sind. Bei der ersten Gelegenheit gehen wir dann über die Grenze. Oder bleiben Sie lieber hier?“
„Nein, nein! Ich will hinüber.“
„Schön! Nun haben Sie die Wahl, ob wir beisammen bleiben wollen oder nicht.“
„Wenn es Ihnen recht ist, bleiben wir beisammen.“
„Schön. Ich will jetzt nicht fragen, wer und was Sie sind. Landsleute müssen sich in solchen Zeiten unterstützen. Sie werden schon auch noch erfahren, wer ich bin!“
Bei Doktor Bertrand wurde dem Bajazzo eine Stube angewiesen, aus welcher er nicht entkommen konnte. Er glaubte, daß man diese Maßregel zu seinem eigenen Vorteil treffe. Nach einigen Tagen reisten sie zu Fuß nach der Grenze, und erst drüben benutzten sie die Bahn. So ging es bis Köln. Dort aber wurde der Bajazzo plötzlich, ohne daß er wußte weshalb, im Gasthof arretiert. Beim Legitimationsverhör fragte er danach und erhielt zur Antwort, daß man ihn nach Berlin bringen werde, wo er sicher Auskunft über die Ursache seiner Arretur erhalten werde. Er ahnte noch immer nicht, daß er die letztere seinem Reisebegleiter zu verdanken habe.
Am neunzehnten Juli war die französische Kriegserklärung in Berlin überreicht worden, und am achtundzwanzigsten desselben Monats hatte Napoleon III. in Metz das Oberkommando über die französische Rheinarmee übernommen, nachdem er der Kaiserin Eugénie die Regentschaft übertragen hatte.
Der nun ausbrechende Krieg enthüllte außerordentlich schnell die äußere und innere Schwäche des zweiten Kaiserreichs.
Das französische Heer hatte, einer stehenden Redensart zufolge, einen Spaziergang nach Berlin machen wollen; aber die Wacht am Rhein war auf ihrer Hut gewesen. Die deutschen Heereskörper rückten über die feindliche Grenze, ehe die Franzosen ihre Armeekorps noch komplettiert hatten.
Am vierten August stürmten die Kronprinzliche Armee Weißenburg und den Geisberg. Zwei Tage später war die siegreiche Schlacht bei Wörth, in welcher das Heer Mac Mahons vollständig geschlagen wurde, und nun folgte Schlag auf Schlag. Die französischen Streitkräfte wurden an allen Punkten zurückgeworfen. Sie wurden gezwungen, sich immer und immer wieder rückwärts zu konzentrieren. Sie fanden keine Zeit, sich zu sammeln und festzusetzen. Paris wurde in Belagerungszustand erklärt, und die Deutschen waren an allen Orten Herren und Meister.
Niemand wurde durch dieses rapide Vordringen der Deutschen mehr in Grimm versetzt, als der alte Kapitän Richemonte. Zuerst hatte er Befehl erhalten, die letzten Schritte zur Organisation seiner Franctireurbande erst dann zu tun, wenn man die deutsche Grenze überschritten habe und er sich also im Rücken des eigentlichen Heeres befinde. Zu einem Überschreiten der Grenze war es aber nicht gekommen, und da die französischen Heeresleiter schon für sich so viel zu tun
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