60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
stört nie!“ antwortete sie.
„Ach, wie glücklich bin ich, daß Sie sich dieses Verhältnisses erinnern!“
Er nahm ungeniert neben ihr auf dem Diwan Platz.
„Wie steht es mit dem Befinden, Heber Fürst?“
„Mille grace! Sie machen mich auf den Fehler aufmerksam, Sie nicht nach dem Ihrigen gefragt zu haben. Ich tat es nicht, weil ich Sie so reizend vor mir sehe! Ihr Befinden kann kein schlimmes sein?“
„O wehe!“ sagte sie seufzend.
„Also doch ein Leiden?“
„Vielleicht!“
„Wäre ich ein Arzt!“
„Gibt es nicht Leiden, welche auch von Laien geheilt werden können?“ fragte sie kokett.
„Glücklicherweise, ja!“
„Welche wären das?“
„Hm! Zahnweh!“
„Pfui! Womit?“
„Mit einem Kuß!“
„Das scheint mir Sympathie.“
„Sie wollen mir sagen, daß Sie mich liebhaben!“
Sie sah ihm ganz begeistert entgegen. Sie hatte noch keinen gefunden, der in dieser so ganz selbstverständlichen Weise mit ihr gesprochen hatte.
„So ist es!“ antwortete sie.
„Aber diese Liebe ist nicht eine willenlose Glut?“
„Nein.“
„Sie hätten genug Macht über sich, mich nicht zu lieben. Aber Ihr Herz ist mir nicht abgeneigt, und da Ihr Verstand dabei auch seine Rechnung findet, so haben Sie Ihrer Liebe gestattet, sich mit jener Rapidität zu entwickeln, welche allen Ihren Seelenstimmungen eigen ist.“
„Wahrhaftig, Sie kennen mich ganz und gar! Aber denken Sie nicht, daß meine Liebe so gar sehr von meinem Willen abhängig ist. Ich bringe Ihnen eine hochlodernde Glut, eine schrankenlose Hingebung und eine unverbrüchliche Treue entgegen. Was bieten Sie mir dafür?“
„Nichts!“
Sie fuhr zurück und erbleichte. Das hatte sie nicht erwartet.
„Nichts?“ fragte sie beinahe tonlos.
„Ja, gar nichts!“
„Mein Gott, ist es denn möglich, daß ich Sie recht verstehe?“
Er las eine förmliche Herzens- oder Seelenangst aus dem schwimmenden Blick, den sie auf ihn gerichtet hielt. Er hatte seine Absicht erreicht. Er las auf dem Grund ihrer Seele, daß sie seit heute, seit gestern nicht mehr so war, wie sie früher gewesen war. Sie liebte ihn wirklich; sie liebte ihn so, wie sie wohl noch nie geliebt hatte; sie konnte ohne seine Gegenliebe sich wohl nie, nie wieder glücklich fühlen.
„Sie verstehen mich allerdings nicht recht, beste Baronin“, antwortete er. „Sie reden von einer lodernden Glut, einer schrankenlosen Hingebung und einer unverbrüchlichen Treue, welche Sie mir entgegenbringen; Sie fragen mich, was ich Ihnen dafür biete, und ich bin gezwungen, mit ‚Nichts, gar nichts‘ zu antworten, denn diese Glut, diese Hingebung, diese Treue, sie können nicht schrankenlos und unverbrüchlich sein, wie Sie sagen, sondern sie haben ihre, und zwar höchst engere Grenzen.“
„Nein.“
„O doch!“
„Nein, sage ich!“ wiederholte sie in erhobenem Ton, indem ihre Augen in einem Feuer glühten, welches man nicht nur ein vulkanisches, sondern ein plutonisches hätte nennen mögen. Es war ein tief und still zehrendes Feuer, welches leicht den Tod bringen konnte.
„Sie sind –!“
Er sah ihr mit jenem starren Blick in die Augen, welcher auf eine unterirdische oder vielmehr unterseelische Gefühlsrevolution schließen läßt, die unter dieser starren, ausdruckslosen Irisdecke wütet. Sie schlang die Arme fester um ihn, drückte ihn inniger an sich und mahnte:
„Sprechen Sie, sprechen Sie weiter!“
„Darf ich denn?“ fragte er.
„Ja, ich wünsche es! Ich bitte Sie darum!“
„Sie gehören einem – einem anderen Mann. Sie sind verheiratet!“
„Aber ich liebe diesen Mann nicht!“
„Wenn ich liebe, will ich glücklich machen und glücklich sein. Welche Garantien des Glückes aber bietet mir die Liebe zu einem Weib, welche das ganze, persönliche, ausschließliche Eigentum eines andern ist, dem das Gesetz das Recht gibt, ihre Seele, ihr Herz, ihr Leben, ihren Körper zu besitzen, wo und wann es ihm beliebt?“
Da sanken ihre Arme langsam von ihm nieder. Sie erhob sich und schritt einige Male im Zimmer auf und ab. Dann blieb sie vor ihm stehen und fragte, indem die tiefste Erregung aus allen ihren Zügen sprach:
„Durchlaucht, wollen wir ohne Rücksicht miteinander sprechen? Darf ich rückhaltlos und unumwunden mit Ihnen reden?“
„Sie dürfen es. Es ist sogar mein inniger Wunsch, daß dies geschähe!“
Da sank sie langsam vor ihm in die Knie, schlang die Hände um seinen Leib und sagte:
„Ich liebe Sie! Ich liebe Sie namenlos und
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