60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
Geschmack sein würde!“
„Hm! Wir wollen sehen! Es ist sehr viel verlangt von mir, und ich würde in meinem eigenen Interesse sicherlich keine so zudringliche Frage aussprechen, aber da ich die heilige Verpflichtung des Vormunds auf mir lasten fühle, so möchte ich fragen, ob Sie nicht vielleicht in Ihrem Haus eine Stellung, eine Verwendung für Marie Bertram finden könnten. Das würde mir das angenehmste sein. Ich hätte die innerliche Beruhigung, meine Mündel in einer Umgebung zu wissen, in welcher ihre Tugend und das Heil ihrer Seele niemals in Gefahr geraten kann.“
Jetzt, jetzt endlich verstand der Baron den Vorsteher. Er hätte ihn vor Freude umarmen mögen; aber er beherrschte sich und antwortete:
„Gern nicht, mein Lieber! Die Tochter eines Schneiders, eines Musikanten paßt nicht in ein vornehmes, hocharistokratisches Haus; aber Ihnen zuliebe will ich doch einmal mit meiner Frau sprechen.“
Herr Seidelmann blinzelte pfiffig vor sich hin und wagte zu fragen:
„Sind Ihre Entschließungen in solchen Angelegenheiten von der Einwilligung der Frau Baronin abhängig?“
Der Baron verstand ihn und antwortete, leicht die Achsel zuckend:
„Pah! Die Konvenienz erfordert, daß man gegenseitige Höflichkeiten beobachte!“
„Würde es mir vielleicht erlaubt sein, in dieser Angelegenheit mit der gnädigen Frau zu verhandeln?“
„Warum nicht? Das ist mir sogar lieber!“
„So werde ich –“
„Halt!“ unterbrach ihn der Baron, welcher glaubte, er habe die Absicht, sofort zur Baronin zu gehen. „Ich muß vorher sehen, ob meine Frau zu sprechen ist.“
„Warum nachsehen? Ein Diener könnte –“
„Nein, nein! Sie hat Besuch.“ Und im Ton einer eigenartigen, aber sehr leicht herauszuhörenden Bedeutung fügte er hinzu: „Der Fürst von Befour macht ihr nämlich seine Morgenvisite.“
Der Vorsteher verneigte sich unter einem ebenso eigentümlichen Lächeln und sagte:
„Ich gratuliere, Herr Baron! Der Fürst ist eine Person von ausgezeichneter Distinktion. Es wird ihm nicht schwerfallen, das Wohlwollen der Herrin dieses Hauses zu erlangen, und darum hoffe ich, glauben zu dürfen, daß sie auch unserem Projekt, betreffs Marie Bertram nicht entgegen sein werde.“
„Ich bin überzeugt davon. Also, ich werde einmal nachsehen, ob der Fürst noch zugegen ist.“
„O bitte, jetzt noch nicht, gnädiger Herr! Ich habe noch einige andere Neuigkeiten, welche Sie interessieren werden.“
„Sie stecken ja heute ganz voll von ihnen! Was gibt es noch?“
„Ist Ihnen vielleicht ein Subjekt bekannt, welches man den Riesen Bormann zu nennen pflegt?“
„Vom Hörensagen“, antwortete der Baron im gleichgültigsten Ton der Welt.
„Der Mensch ist ein höchst gefährlicher Verbrecher. Er war eingesperrt.“
„Ich habe gehört, daß er sich in Untersuchungshaft befindet.“
„Ganz richtig! Aber denken Sie sich, der Kerl ist gestern abend oder heute nacht frei in der Stadt herumgelaufen!“
„Unmöglich!“
„Wahr, sogar sehr wahr!“
„Und wie ist er herausgekommen –? Doch wohl ausgebrochen?“
„Nein, nein! Er hat den Schließer zu beschwatzen gewußt. Er hat ihm gesagt, daß er einbrechen werde, um ein kostbares Geschmeide zu stehlen; die Hälfte desselben hat sollen der Schließer bekommen.“
„Romantisch! Fürwahr, sehr romantisch! Und auf dieses Versprechen hin hat ihn der Schließer herausgelassen?“
„Ja.“
„Welche Verrücktheit! Welch ein Wahnsinn!“
„Allerdings der reine Wahnsinn! Übrigens ist der Streich mißlungen, wie vorauszusehen war.“
„Der Einbruch wurde wohl wirklich unternommen?“
„Freilich! Natürlich! Solchen Menschen, welche von Gott abgefallen sind, fällt keine Missetat zu schwer.“
„Und bei wem geschah der Einbruch?“
„Beim Obersten von Hellenbach.“
„Alle Wetter! Also bei einem Bekannten von mir?“
„Ja. Es war auf den Schmuck des Fräuleins von Hellenbach abgesehen. Aber die Vorsehung hat den Plan vereitelt, und zwar auf eine Weise, welche lebhaft an das Schriftwort erinnert: Gottes Wege sind wunderbar, und er führt alles herrlich hinaus!“
„Man hat den Einbrecher wohl zufällig beobachtet?“
„O nein! Es gibt einen Menschen, welchen Gott extra beauftragt zu haben scheint, das Elend zu beschützen und das Verbrechen an das Licht zu bringen.“
„Meinen Sie etwa jenen mysteriösen Fürsten des Elends?“
„Ja.“
„Was kann der mit dem Einbruch zu tun haben?“
„Sehr viel! Er hat gestern einen Boten
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