60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
Geld!“
„Verlieren? Ich? Wieso? Ich habe keinem Menschen Geld gegeben, welches ich verlieren könnte!“
„Nicht? Hast du nicht gegeben eine große Summe für eine Halskette von Gold? Hast du das nicht getan?“
„Du meinst an Bertram, den Dichter der Wüstenbilder?“
„Ja.“
„Oh, das kann und werde ich nicht verlieren.“
„Täusche dich nicht, Judith! Dieses Geld ist verloren!“
„Auf keinen Fall. Ich habe ja die Kette und auch noch die Schuldverschreibung.“
„Wie nun, wenn diese Kette ist geraubt oder gestohlen?“
Sie blickte ihn überrascht an.
„Wo denkst du hin! Ein Dichter kann nicht stehlen.“
„Nicht? Kann er nicht? Wirklich nicht? Aber wenn er nun nicht nur stiehlt, sondern sogar einbricht?“
„Vaterleben, du bist krank! Robert Bertram soll eingebrochen sein, soll geraubt haben?“
„Ich werde es dir beweisen! Du sagst selbst, daß sein Name lautet Robert und Bertram?“
„Ja.“
„Er hat gesagt, daß er wohnt in der Wasserstraße hier?“
„Ja, Nummer Elf.“
„Und er hat auch gesagt, daß er ist Schreiber, um abzuschreiben anderen Leuten für Geld?“
„Das hat er gesagt. Ist das eine Schande für ihn?“
„Nein. Aber das ist eine Schande für ihn, wenn hier auf dem Tagesblatt von der Zeitung ist zu lesen von ihm: ‚Es ist nun dem Bemühen der Behörde gelungen, die Persönlichkeit des mit dem Riesen Bormann ergriffenen Einbrechers festzustellen.‘ Ist das keine Schande?“
„Für ihn doch nicht!“
„Nicht? Da steht weiter: ‚Der noch sehr junge Mensch heißt Robert Bertram, hat sich scheinbar mit Abschreibereien beschäftigt und ist der Sohn eines schwindsüchtigen Schneiders in der Wasserstraße Nummer Elf.‘ Ist das nicht eine grausige Schande?“
Sie war leichenblaß geworden.
„Herr Sabaoth!“ rief sie. „Das steht dort?“
„Ja, hier!“
„So, grad so steht es dort?“
„Grad so!“
„Das ist unmöglich! Er kann es nicht sein! Man meint einen anderen! Ich glaube es nicht.“
„So siehe es dir an mit deinen eigenen Augen!“
Er hielt ihr das Blatt entgegen, und sie ergriff es. Es war ihr so eigentümlich zumute, ganz so, als ob man sie selbst beschuldigt hätte. Sie las, aber die Buchstaben verschwammen vor ihren Augen.
„Nun, steht es dort?“ fragte Salomon Levi.
„Ja, es steht dort!“ bestätigte seine Frau. „Ich habe es auch schon gelesen, mit meinen Augen, mit meinen eigenen, und dazu habe ich aufgesetzt die Brille, welche wir heute haben abgekauft dem Studenten für einen Gulden vierzig Kreuzer, weil das Gestell ist von gelbem Gold.“
Judith war ein willensstarkes, kräftiges Mädchen. Der Schreck hatte sie überrascht. Jetzt beherrschte sie sich. Sie zwang sich zur Ruhe. Sie hielt das Blatt nun ohne das leiseste Zittern in der Hand und las, las von Anfang bis zu Ende, vom ersten Wort an bis zum letzten.
„Nun, habe ich richtig gesprochen?“ fragte der Vater.
Da legte sie das Blatt auf den Tisch, griff nach einem Tuch, welches zur Hand lag und antwortete ruhig:
„Ich werde euch beweisen, daß er unschuldig ist!“
Sie warf das Tuch über; ihr Vater aber ergriff sie beim Arm und sagte, sie erschrocken betrachtend:
„Was willst du tun, meine Tochter? Ich glaube gar, du willst verlassen dieses Haus, um zu gehen auf die Straße!“
„Ja, das will ich!“ antwortete sie kalt.
„Und wohin willst du gehen?“
„Nach der Nummer Elf.“
„Dorthin? Zu wem, Judithleben?“
„Zu ihm, zu Robert!“
„Zu ihm? Zu Robert? Zu dem Dichter? Glaubst du denn wirklich, daß du ihn finden wirst in dem Haus auf unserer Straße, über dessen Tür steht geschrieben die Nummer Elf?“
„Warum nicht?“
„Hast du nicht gehört, daß er sitzt gefangen im Kerker, wo da sind die Spitzbuben, Einbrecher und ertappte Pfandleiher?“
„So gehe ich dorthin!“
„Gott Abrahams! Bist du denn geschlagen mit Blindheit auf den Augen und auch im Verstand? Denkst du denn, daß man dich wird einlassen in den Kerker, um zu sprechen mit dem Dichter?“
„Ich werde es erzwingen!“
Sie tat einen Schritt vorwärts. Sie schien fest entschlossen zu sein, ihren Entschluß auszuführen. Ihre Mutter war ganz erschrocken darüber. Sie schlug die Hände zusammen und rief:
„Wo denkst du hin, Tochterleben; werden wir zugeben, daß unser Kind geht in das Gefängnis, wo da sind lauter Verbrecher und Leute, denen man wohl abkauft Uhren, Ringe und Lampen, denen man aber nicht macht einen Besuch an einem solchen Ort!“
„Laßt mich! Ich
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