60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
Handvoll Erde nach. Die Feier war beendet, aber die Menge entfernte sich nicht, sie wartete. Man wollte Robert sehen.
Man hatte ihm vorhin, als man ihn aus der Zelle holte, seine Ketten abgenommen, er war also nicht gefesselt. Er wurde jetzt in die Mitte der Beamten genommen und fortgeschafft.
Er ließ es ruhig geschehen. Er hielt den Blick starr vor sich hin gerichtet. Jedermann erkannte, daß er vollständig geistesabwesend sei. Unzählige Augen waren auf ihn gerichtet. Er sah sie nicht; er bemerkte sie nicht.
Wirklich nicht?
Bereits war er bis nahe an das Tor gekommen, da blieb er plötzlich stehen. Sein starrer Blick hatte zwei schwarze, dunkle Augensterne getroffen. Was war das? Wurde seine Seele lebendig? Sein kaltes Auge erhielt Bewegung und Glanz. Er stutzte noch einen Augenblick, dann aber geschah etwas, was seine Wächter nicht zu verhindern vermochten, da sie nicht darauf vorbereitet gewesen waren.
Aber ehe dies erzählt werden kann, ist es nötig, vorher um einen Tag zurückzugehen.
Die Kunde von dem Einbruch bei Oberst von Hellenbach hatte die Bevölkerung der Hauptstadt in große Erregung versetzt. Der Schreck hatte sich gesteigert, als man erfuhr, daß der berüchtigte und gefürchtete Bormann die Tat ausgeführt habe.
Am anderen Tag hatte folgende Notiz in den Blättern gestanden:
„Es ist nun doch dem Bemühen der Behörde gelungen, die Persönlichkeit des mit dem Riesen Bormann ergriffenen Einbrechers festzustellen. Der noch sehr junge Mensch heißt Robert Bertram, hat sich scheinbar mit Abschreibereien beschäftigt und ist der Sohn eines schwindsüchtigen Schneiders in der Wasserstraße Nr. 11.
Daß dieser angebliche Schreiber ein äußerst gefährlicher und verwegener Mensch ist, läßt sich nicht nur daraus schließen, daß er der Verbündete des berüchtigtsten Einbrechers ist, sondern auch daraus, daß er mit einem lebensgefährlichen Werkzeuge bewaffnet war.
Gegen solche aus der menschlichen Gesellschaft getretene Subjekte ist natürlich die allerstrengste Schärfe des Gesetzes in Anwendung zu bringen.
Übrigens diene zur Berichtigung, daß der Einbruch nicht, wie erst verlautete, in der zweiten Stunde, sondern ganz kurz nach Mitternacht stattfand. Richtig aber ist es, daß man die Entdeckung des Verbrechens und die Ergreifung der Übeltäter der Intervention des ‚Fürsten des Elends‘ verdankt.“
Also war festgestellt worden, wer der zweite Spitzbube war. Man las diese Notiz und ging dann zur gewöhnlichen Tagesordnung über. Tiefer berührte sie nur die Bewohner der Wasserstraße und besonders die des Hauses Nummer Elf.
Zwei Orte aber waren es, an denen diese Veröffentlichung einen außergewöhnlichen Eindruck hervorbrachte. Der erste dieser Orte war das Haus des Trödlers Salomon Levi.
Seine Tochter Judith saß oben in ihrem Zimmer und las gerade das Gedicht, welches Robert so absprechend beurteilt hatte; da kam es eilig die Treppe heraufgepoltert, die Tür wurde aufgerissen, und ihr Vater trat ein, ein Zeitungsblatt in der Hand. Hinter ihm stand die Mutter, die Hände ringend.
„Was ist's?“ fragte Judith erschrocken. „Was ist geschehen?“
„Was geschehen ist?“ fragte Salomon Levi. „Was soll sein geschehen! Ein großmächtiges Unglück ist geschehen, ein Malheur, wie es sein kann gar nicht größer und schlimmer auf der Welt!“
„So sage es doch!“
„Ein Malheur, ein großes, gewaltiges Malheur, meine Tochter Judithleben!“ jammerte Rebekka.
„Schweig, Weib!“ wurde sie von ihrem Mann angeherrscht. „Wenn Israel sich befindet in Traurigkeit, so haben erst zu klagen die Männer! Dann, wenn diese sind fertig geworden, können auch beginnen zu jammern die Weiber!“
„Aber so redet doch!“ bat Judith, der es ganz angst wurde.
„Ja, reden werde ich, reden von dem großen Verlust, der da hat betroffen meine Familie und meine Tochter, mein Kind, meine Judith, welche hat ein zu weiches Herz und darum gibt hinaus das Geld, ohne zu fragen ob es auch wieder kommt herein!“
„Geld? Ah, handelt es sich nur um Geld? Ich hätte viel, viel Schlimmeres gedacht!“
Salomon Levi schlug die Hände samt dem Zeitungsblatt über dem Kopf zusammen und rief:
„Geld? Nur Geld? Ist Geld wirklich nur Geld? Nein! Geld ist Kapital, ist Reichtum, ist Größe, ist Glück, ist Seligkeit. Man kann nur dann sein ein Mensch, wenn man hat Geld, viel Geld. Man darf es nicht hinausgeben mit Leichtsinn. Du aber hast dies getan und wirst es verlieren das ganze, ganze
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