60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
„Erlauben Sie mir, Ihnen zu zeigen, wie angenehm es sein würde, wenn eine Fürstin von Befour hier die Honneurs machte!“
Sie legte ihm vor. Dabei war sie bemüht, bald mit der Hand, bald irgendwie mit ihm in Berührung zu kommen. Er suchte dies möglichst zu vermeiden. Er blieb freundlich und zuvorkommend, hütete sich aber, zärtlich zu werden.
Sie trug ein dünnes, sehr eng anliegendes Kleid mit einer weiteren, lichten Übertaille. Als zu erwarten stand, daß der Diener nun nicht mehr kommen werde, heuchelte sie eine kleine Ungeschicklichkeit und ließ einige Tropfen des Fruchtmêlé auf sich fallen. Sie tat, als ob sie erschrecke und sagte:
„O weh! Daheim braucht man nicht so vorsichtig zu sein!“
Sie erwartete, daß er sie auffordern werde, sich ganz als daheim zu denken; da dies aber nicht geschah, fügte sie hinzu:
„Oder bin ich wirklich bei Ihnen fremd?“
„Liebe Baronin!“ war er jetzt gezwungen zu antworten. „Ich hoffe doch nicht, daß wir uns so fern stehen!“
„Nun, dann will ich speisen wie bei mir!“
Sie legte die Übertaille ab, und nun zeigte es sich, daß das Kleid ganz à la Rafflesia ausgeschnitten war. Jetzt meinte sie, dem Sieg entgegenzustehen; aber ihre Hoffnung erwies sich als trügerisch. Der Fürst blieb sich gleich.
Sie war darüber voll innerlichem Ärger; äußerlich aber meinte sie, sich nicht das mindeste merken zu lassen. Einen solchen Menschenkenner aber, wie der Fürst war, konnte sie nicht täuschen. Er sah, als der Champagner kommen sollte, sich gezwungen, das Zimmer zu verlassen und ihn selbst zu holen, um dem Diener nicht den Anblick dieser dekolletierten Frau preiszugeben. Jetzt sah sie sich für einige Augenblicke allein. Sie stampfte mit dem silbernen Griff des Messers auf und knirschte:
„Vergebens! Seine Liebe ist eine Lüge, oder er besitzt das kalte Blut eines Fisches. Kein anderer könnte widerstehen! Mein Vorsatz ist gefaßt: Ich erwarte nichts von der Liebe, sondern alles nur von meiner Geschicklichkeit. Die Diamanten! Die Diamanten! Wo mögen sie sein? Wo mag er sie haben?“
Er kehrte zurück. Der Champagner perlte in die Gläser; eine, zwei, drei Flaschen wurden geleert – der Fürst blieb, wie er war. Da machte sie ihm endlich direkte Vorwürfe über seine zurückweisende Kälte.
„Bedürfen Sie denn keines Unterrichts mehr?“ fragte sie, indem sie ihren Stuhl dem seinen näher rückte.
Er lächelte ihr freundlich entgegen; aber seine Stimme klang gleichgültig, beinahe kalt, als er antwortete:
„Liebe Ella, Sie dürfen mich nicht veranlassen, ein unhöflicher Wirt zu sein. Einem so lieben Gast darf ich doch unmöglich die Arbeiten, Sorgen und Anstrengungen eines Lehramtes auferlegen. Sie sind jetzt Fürstin von Befour; ich darf Sie in Ihren wirtschaftlichen Tätigkeiten nicht beeinträchtigen!“
Diese Worte gaben ihr den längst gesuchten Punkt, an welchem es möglich war, anzufassen. Sie antwortete: „Fürstin von Befour? Und doch kenne ich mein Reich noch nicht.“
„Es ist auf diesem Kontinent nicht sehr groß. Es erstreckt sich nur auf dieses Haus und den Garten.“
„Desto mehr muß ich besorgt sein, es kennenzulernen!“
Sie ahnte nicht, daß sie dem ihr weit überlegenen, fein berechnenden Mann mit ihrem Wunsch in die Hände arbeitete. Scheinbar zögernd, gab er ihr nach einer kurzen Pause zur Antwort:
„Ich habe allerdings versprochen, Ihnen meine kleinen Herrlichkeiten zu zeigen; aber wir sind noch beim Nachtisch!“
„Ich bin zu Ende, und auch von Ihnen bemerke ich, daß Sie sich nicht mehr mit dem Tisch beschäftigen.“
„So darf ich Sie zu einem Rundgang einladen?“
„Ich wünsche mir keinen anderen Cicerone, als nur Sie allein!“
Das war eine sehr verständliche Andeutung, daß er auf die Begleitung eines Dieners verzichten solle; aber der Fürst sah ein, daß sich dann während eines Rundganges durch den Palast für sie hundertfach Gelegenheit bieten werde, inniger zu werden, als er es beabsichtigte. Darum antwortete er leichthin:
„Leider wird Adolf gezwungen sein, uns die unerleuchteten Zimmer zu erhellen!“
Er erhob sich, und sie folgte seinem Beispiel. Sie nahm seine Bemerkung als einen Wink, die Übertaille wieder anzulegen. Sie mußte einsehen, daß die Schlacht verloren sei. Während ihr Gesicht vor Freundlichkeit glänzte, klopfte ihr Herz fast laut vor innerem Zorn. Sie wollte sich rächen, rächen, rächen! Und doch, wenn ihr Auge auf den neben ihr durch die Räume Schreitenden
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