61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig
Haus.“
„Ich werde gehen. Es wird sich auf der weiten Erde wohl ein Plätzchen für mich finden lassen.“
„So! Also so redest du! Ich werde dir zeigen, wo der Platz ist, an den du gehörst.“
Der Streit hatte bereits längere Zeit gewährt. Frau Hofmann war nicht daheim, und so sah sich das Mädchen dem Zorn des aufgeregten Vaters ganz allein gegenüber. Die Wut hatte jetzt den höchsten Grad erreicht. Hofmann erhob die Hand. Der wuchtige Schlag traf seine Tochter.
Engelchen stieß einen Schrei aus, riß die Tür auf und entfloh hinaus auf die Gasse. Wohin sollte sie? Drüben stand die Wohnung des Geliebten. Sie eilte hinüber.
In ihrer Aufregung bemerkte sie gar nicht, daß auch bei Hausers etwas Ungewöhnliches vorging. Sie öffnete die Stubentür, erblickte Eduard, warf sich auf ihn, schlang die Arme um ihn und sagte:
„Eduard, du mußt helfen. Ich bin vor dem Vater geflohen.“
Noch während sie sprach, sah sie, daß er gefesselt war. Sie erblickte das Blut, welches an seinem Arm niederträufelte.
„Herrgott! Was ist mit dir?“ schrie sie auf.
„Ich bin Gefangener“, antwortete er, bitter lächelnd.
„Gefangener und verwundet? Weshalb?“
„Ich soll der Pascherkönig sein.“
„Wer sagt das?“
„Der dort hat mich angezeigt.“
Er nickte nach der Ecke hin, in welcher Fritz Seidelmann noch immer stand. Engelchen drehte sich um und erblickte diesen. Ihre Augen leuchteten in einer ungewöhnlichen Glut.
„Der dort hat dich angezeigt?“ fragte sie.
„Ja.“
„Und deshalb bist du gefangen?“
„Ja.“
„Und deshalb hat man dich verwundet?“
„Ja, Engelchen.“
„Herr, mein Gott. Und auch seinetwegen hat mich der Vater geschlagen und ich habe fliehen müssen.“
Ihr kleinen Hände ballten sich. Sie war aufgeregt und empört fast bis zur Unzurechnungsfähigkeit. Sie trat einen Schritt auf Seidelmann zu und sagte in zischendem Ton:
„Ungeheuer! Gewissenloser Mensch! Du, du bist schuld an allem! Weißt du, was dir gehört? Ich sollte hier das Gewehr nehmen und dir eine Kugel durch den Kopf jagen!“
Ein Schuß krachte. Ein mehrstimmiger Schrei erscholl, in welchen auch Engelchen mit eingestimmt hatte; dann brach sie zusammen. Sie hatte in ihrem Grimm dem da stehenden Grenzer das Gewehr aus der Hand gerissen, den Hahn gespannt, auf Seidelmann angelegt und abgedrückt – das Werk nur eines einzigen Augenblicks.
Der Schuß rief natürlich alle im Haus zerstreuten Männer zusammen. Es entstand ein außerordentlicher Wirrwarr. Engelchen lag am Boden, und Eduard kniete mit gefesselten Händen neben ihr. Auch Seidelmann lag auf der Diele.
„Ist er tot?“ fragte der Anwalt, der seine Ruhe am allerersten wieder erlangte.
Man untersuchte ihn. Die Auskunft lautete:
„Nein, sondern nur besinnungslos. Er ist vor Schreck umgefallen. Der Lauf war mit Schrot geladen. Ein Korn ist ihm hier ins Ohr gedrungen, sonst aber ist die ganze Ladung hier in die Wand gegangen.“
„Man bespritze ihn mit kaltem Wasser und das Mädchen auch. Die Hausdurchsuchung wird fortgesetzt.“
Seidelmann kam eher zu sich als Engelchen. Er erhob sich und griff sich ans Ohr.
„Herr Staatsanwalt, haben Sie es gesehen?“ rief er.
„Was?“
„Daß dieses Mädchen mich erschießen wollte?“
„Hm!“
„Ich bin hier am Ohr getroffen. Nur ein wenig weiter zur Seite und ich wäre eine Leiche. Ich ersuche Sie, Ihre Pflicht zu tun!“
Der Beamte ließ seinen Blick eine ganze Weile lang ruhig im Kreis gehen. Dann sagte er kalt:
„Was meinen Sie mit dem, was Sie meine Pflicht nennen?“
„Ich verlange, daß die Mörderin arretiert werde.“
„Ah! Wirklich?“
„Ja. Sie muß arretiert und ganz exemplarisch bestraft werden. Darauf bestehe ich!“
„Schön! Haben Sie in dieser Angelegenheit vielleicht noch irgendwelche Bemerkungen vorzubringen?“
„Nein.“
„Gut! So können wir für heute auf Ihre Gegenwart verzichten. Ich freue mich außerordentlich, daß Sie nur am Ohr gestreift wurden.“
Ob er sich wegen Seidelmann oder wegen Engelchen freue, das sagte er nicht. Der erstere machte allerdings keine Miene, sich zu entfernen.
„Darf ich annehmen, daß Sie mich verstanden haben, Herr Seidelmann?“ fragte der Anwalt.
„Ich soll gehen?“
„Ich wünsche es.“
„Aber ich kann doch vielleicht noch gebraucht werden.“
„Das steht nicht zu vermuten. Sie dürfen wohl überzeugt sein, daß ich meine Pflicht auch dann tue, wenn Sie nicht mehr anwesend sind. Sobald ich Sie brauche,
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