61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig
schleunigst ein:
„Halt! Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich nicht hungrig bin, und wenn es bei Ihnen mit dem Abendbrot nicht ganz und gar eilt, so möchte ich Ihnen erst sagen, warum ich zu Ihnen gekommen bin.“
„Wenn Sie nicht anders wollen, nun, mein Hunger ist auch nicht riesig. Also, haben Sie einmal geladen, so schießen Sie auch los!“
„Setzen Sie sich hier neben mich. Das Kanapee ist groß genug für uns drei.“
Der Förster warf seiner Frau einen Blick zu, welcher seine ganze Befriedigung darüber aussprach, daß dieser vornehme Herr mit ihnen auf dem gleichen Platz sitzen wollte. Sie ließen sich neben ihm nieder, und als das geschehen war und der alte Wunderlich seine Pfeife bedächtig zu stopfen begann, fragte der Fremde:
„Kennen Sie die Vergangenheit des alten Försters Brandt?“
„Warum sollten wir nicht!“ antwortete der Alte, indem er den Tabaksbeutel zuzog. „Ich war ja lange Jahre Brandts Reviernachbar, ehe ich nach hier versetzt wurde.“
„So kennen Sie auch die Geschichte von seinem Sohn?“
„Von dem Gustav, dem Polizisten? Wohl kenne ich sie; aber mein lieber Herr, ich spreche nicht gern davon.“
„Warum nicht?“
„Weil es meinen alten Kopf zu sehr angreift und mein Herz noch viel mehr. Wir haben auf den Gustav große Stücke gehalten; er war ein braver Junge und ein tüchtiger Beamter, mit dem die Vorgesetzten trotz seiner Jugend sehr zufrieden waren. Was hätte aus ihm werden können! Und da, da kam der verdammte Doppelmord dazwischen!“
„Er hat die Tat also wirklich begangen?“
„Der? Herr, was fällt Ihnen ein! Der ist so unschuldig gewesen wie die liebe Sonne am Himmel! Herrgott, war das ein Jammer und ein Herzeleid, als es hieß, der Gustav habe die beiden ermordet und sei eingesperrt worden! Wir haben ihn liebgehabt, gerade als ob er unser eigenes Kind gewesen wäre, und da auf einmal – Mohrenelement, sehen Sie, da ist es bei meiner Alten rein alle! Da hat sie gleich die Schürze am Gesicht! Wenn ich sie zum Schluchzen bringen will, so darf ich nur von dem Gustav anfangen.“
„Ich hörte, daß es ihm gelungen sei, zu entfliehen?“
„Ja. Seinem Vater ist das anfänglich gar nicht lieb gewesen. Er ist ein eigener Kopf; er wollte, der Gustav solle sich nur getrost hinrichten lassen. Aber er hat sich doch damit abgefunden. Gustav wollte daran arbeiten, seine Unschuld zu beweisen; aber seit er fort ist, hat kein Mensch wieder etwas von ihm gehört.“
„Er ist vollständig verschollen?“
„Ganz und gar. Er ist gestorben und verdorben, der gute, unschuldige Junge; das ist sicher, denn sonst hätte er wenigstens ein einziges Mal ein Wörtchen von sich hören lassen.“
„Wie schade!“ meinte der Fremde bedächtig, indem er leise mit dem Kopf nickte. „Wenn er noch lebte und man wüßte seinen Aufenthalt, so könnte man ihm vielleicht gute Nachricht geben.“
„Gute Nachricht?“ fragte der Förster rasch. „Was soll das heißen?“
„Das soll heißen, daß man jetzt so ziemlich Hoffnung hat, seine Unschuld zu beweisen.“
„Donnerwetter!“ rief Wunderlich, von seinem Sitz aufspringend.
„Herr Jesus! Ist das möglich?“ fragte die gute Barbara, indem sie schnell die Schürze vom Gesicht fallen ließ.
Die Mienen der beiden drückten die freudigste Überraschung aus.
„Ja“, antwortete der Fremde. „Die Hoffnung, von welcher ich spreche, ist sogar eine berechtigte. Sie gewinnt von Tag zu Tag Boden.“
„Gott sei Dank!“ seufzte der Förster, indem er sich langsam wieder niederließ. „Aber sagen Sie doch geschwind, Herr, Herr – hm, ich will nicht zudringlich sein, aber es spricht sich so sauer mit einem, dessen Namen man nicht kennt.“
„Ich heiße Arndt, und da ich Gründe habe, hier als Ihr Vetter zu gelten, so bitte ich Sie, mich Vetter Arndt zu nennen.“
„Schön! Wenn Sie es so wollen! Also, Herr Vetter, sagen Sie uns doch, ob mein Freund Brandt auch schon davon weiß!“
„Natürlich! Er sendet mich ja in dieser Angelegenheit zu Ihnen.“
„Wieso? Kann ich dabei etwas tun?“
„Sehr viel.“
„Das soll von ganzem Herzen gerne geschehen! Nicht wahr, Bärbchen? Aber wie soll ich das anfangen?“
„Sie sollen mir behilflich sein, zu entdecken, wer die geheimnisvolle Person ist, welche man –“
„Welche man den Fürsten des Elends nennt, doch nicht etwa?“ fiel da schnell der Alte ein. „Den kenne ich ganz und gar nicht; da kann ich keine Auskunft geben. Ich war ja nur vier Tage in der
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