61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig
man nur an den Angehörigen höherer Stände zu bemerken pflegt.
„Jetzt, jetzt sind Sie kaum über vierzig!“ entschied der Förster. „Nicht wahr, Bärbchen?“
Die Alte nickte zustimmend, sagte aber nichts. Was sie sah, das ging über ihren Horizont. Arndt fuhr fort:
„Jetzt sehen Sie mein ursprüngliches Gesicht. Ich habe zahlreiche Salben und Essenzen, welche mich befähigen, dasselbe in einer Viertelstunde zehnmal zu verändern. Nehmen Sie dazu falsche Bärte und Perücken, welche auf das sorgfältigste meinem Gesicht und Kopf angepaßt sind, ferner die Verschiedenheit der Tracht, der Haltung, des Ganges, der Sprache und der Gebärden, so werden Sie einsehen, daß es schwer ist, mich zu erkennen, wenn ich nicht erkannt sein will.“
„Ich bin ganz starr vor Verwunderung?“
„Ich sage Ihnen zum Beispiel, daß ich einen Rock besitze, ein wahres Meisterstück in der Schneiderkunst und nach meinen eigenen Angaben gefertigt, dem ich in fünf Minuten viererlei Schnitte und dreierlei verschiedene Farben geben kann, je nachdem ich ihn anziehe, auf- oder zuknöpfe und einzelne Teile einschlage oder auswerfe. Dieser Rock hat vier Ärmel anstatt zwei. Jetzt sieht mich jemand im dunkelblauen Überzieher; ich verschwinde um die Ecke, und wenn er mir nachfolgt, erblickt er mich in einem kurzen, hellen Rock, anstatt der Mütze habe ich einen Hut auf dem Kopf und anstatt des grauen oder schwarzen Bartes einen hellblonden. Ich habe einen guten Grund, Ihnen diese Mitteilung zu machen. Können Sie ihn erraten?“
„Nein“, antwortete der Förster.
„Nun, er ist eigentlich nicht schwer zu entdecken. Ich werde nämlich die Gegend in verschiedenen Gestalten durchstreifen; da wird es unvermeidlich sein, daß wir einander treffen, ohne daß Sie mich erkennen. Sie müssen also vorher davon unterrichtet sein, daß ich mich verkleide, und wir müssen uns über irgend etwas verständigen, woran wir uns erkennen.“
„Was sollte das sein?“
„Zunächst wenn wir uns am Tag von weitem sehen, da werde ich mit der rechten Hand von meinem linken Ohr zum rechten greifen.“
„Das geht. Aber des Abends?“
„Bin ich Ihnen nahe, so daß Sie es hören können, wenn ich leise spreche, so flüstere ich Ihnen – na, was denn zu? Hm!“
„Halt! Ich weiß was!“ meinte der Förster.
„Nun?“
„Der Fürst des Elends ist mein Liebling. Flüstern sie mir das zu, wenn ich Sie erkennen soll!“
„Gut! Auch mir ist das von Interesse, vielleicht mehr noch, als Sie denken. Aber es kann auch der Fall eintreten, daß wir im Dunkel uns von weitem einander zu erkennen geben müssen. Da wird es am besten sein, der eine ruft ‚der Fürst!‘ und der andere ‚des Elends!‘ Sind Sie damit einverstanden?“
„Natürlich! Das klingt grad wie in einem Roman, aber es kann unter Umständen ganz praktisch sein.“
„Das ist's, was wir zunächst zu besprechen hatten. Hinzufügen will ich noch – o weh, ich habe ja noch gar nicht bestimmt gefragt, ob ich bei Ihnen wohnen bleiben kann.“
„Natürlich!“ antwortete Frau Barbara sogleich.
„Das versteht sich ganz von selbst!“ stimmte der Förster bei. „Mein Freund hat Sie geschickt; Sie arbeiten für eine gute Sache, für welche ich mich persönlich auf das lebhafteste interessiere, und endlich hat Ihr jetziges Gesicht, welches Sie Ihr natürliches, Ihr eigentliches nennen, so ein Etwas, was mich anspricht. Ich kann es nicht herausfinden und erklären, aber es ist mir ganz so, als hätten wir uns schon seit langer Zeit gekannt.“
„So geht es einem zuweilen, mein lieber Vetter. So werden wir uns nämlich stets nennen müssen, mögen wir nun allein oder in Gesellschaft sein.“
„Aber was sind Sie denn, wenn man mich fragt?“
„Ich bin früher nach Amerika gegangen, habe dort mein Glück gemacht und besuche Sie auf einige Zeit. Früher bin ich Försterbursche gewesen!“
„Aber ich werde Sie bei der Behörde anzumelden haben!“
„Das besorge ich selbst. Ich werde Sorge tragen, daß mir weder die Polizei noch die Grenzbeamten etwas in den Weg legen.“
„Werden Sie das fertigbringen?“
„Als Geheimpolizist habe ich meine Legitimationen, und außerdem stehe ich unter einem hohen Schutz. Eigentlich hat der Fürst des Elends in diese Gegend mich gesandt.“
Da schlug der alte Förster vor Verwunderung die eine Hand in die andere und rief:
„Der Fürst? Der hat Sie gesandt? Herr – Herr – Herr Vetter, Sie sind, hole mich der Kuckuck, ein ganz
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