61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig
wenig.“
Die arme Frau sagte das mit großer Bitterkeit.
„Ja“, erklärte Engelchen, „der Vater war nicht gut gegen den deinigen, Eduard. Ich weiß nicht, was ihm so plötzlich in den Kopf gefahren ist.“
„Habt Ihr Kartoffeln gekocht und gegessen?“ erkundigte sich der junge Mann weiter.
„Nein. Mit den paar Spaltchen Holz brachten wir ja nicht einmal das Wasser warm!“
„Herrgott! Ihr habt gehungert, und ich habe zu Abend gegessen wie ein König!“
„Was denn, was denn?“ fragten die Geschwister begierig.
„Graupensuppe, eine ganze große Schüssel voll!“
„Wo denn?“
„Bei – oh, da stehe ich und rede, während ihr friert. Wartet, ihr sollt sogleich eine warme Stube haben!“ Er eilte hinaus und holte erst den mit Eßwaren gefüllten Korb herein.
„Hier, Mutter, ist etwas gegen den Hunger. Teile aus!“
Nach diesen Worten ging er wieder, um das Holz und die Kohlen abzuladen und in das Gewölbe zu schaffen. Er nahm davon so viel, als er für heute zu brauchen meinte, und kehrte damit in die Stube zurück, wo ihn ein Anblick erwartete, von dem sich nur sehr schwer sagen ließ, ob er zum Entzücken oder zum Erbarmen sei.
Der Hunger lag auf allen Gesichtern, aber auch die Freude leuchtete aus allen Augen. Mutter und Kinder starrten mit glänzenden Blicken auf die Vorräte, und der Vater saß mit gefalteten Händen dabei und betete:
„Nun danket alle Gott
Mit Herzen, Mund und Händen,
Der große Dinge tut
An uns und allen Enden!“
Dann erst, als er seinem frommen Herzen Genüge getan hatte, wendete er sich an Eduard mit der Frage:
„Mein Sohn, sage, wer uns diese Freude bereitet!“
„Der alte Förster Wunderlich“, antwortete der Gefragte.
„Gott segne den braven Mann und seine wohltätige Frau! Aber wie bist du denn zu ihm gekommen? Erzähle es!“
„Jetzt nicht, Vater! Komm, Engelchen, hilf mir! Hier ist Holz, und da sind Kohlen. Wir müssen vor allen Dingen heizen, damit es warm wird. Mutter gib den Kleinen einstweilen etwas. Im Korb ist auch Kaffee. Wir kochen welchen!“
„Kaffee, Kaffee!“ jubelten die Kleinen, denen die Mutter von dem Brot vorschnitt.
Die Lippen des Vaters zuckten vor tiefer Bewegung. Als sich der erste Freudensturm gelegt hatte und die Kleinen mit ihren Brotschnitten beschäftigt waren, sagte er:
„Frau, siehst du, daß Gott uns nicht vergessen hat! Er macht noch immer seine Winde zu Boten und seine Diener zu Feuerflammen. Dieses Mal hat er dem Förster geboten, unser Engel zu sein. Ihm sei Preis und Dank!“
„Aber wie lange wird es reichen?“ meinte die Frau, welche nicht die Glaubensstärke ihres Mannes besaß. „Wir sind abgelohnt, wir haben keine Arbeit, und wie bald ist die Hypothek zu bezahlen! Wer soll da helfen? Es wird und kann sich niemand finden! Wir müssen aus der Hütte!“
„Kleingläubige, warum zweifelst du? Wie er uns heute hilft, so wird er uns auch weiter helfen. Er ist mächtiger als die Sorge und größer als die Not!“
„Er hat bereits geholfen, lieber Vater, liebe Mutter“, sagte da Eduard, der nicht länger an sich halten konnte. „Hier ist die Hypothek, und hier sind auch noch fünf Goldstücke mehr!“
Damit sprang er vom Ofen herbei, zog das Geld aus der Tasche und legte es auf den Tisch. Die Mutter schlug die Hände zusammen; die Geschwister blickten einander wortlos an; auch Engelchen gab durch ihre weitgeöffneten Augen ihr Erstaunen zu verstehen; der Vater aber erhob sich langsam von seinem Sitz, streckte die Hand gegen das viele Geld aus und sagte:
„Eduard, mein Sohn, ich will nicht hoffen, daß die Not dich auf unrechten Weg geführt hat! Dieses Gold gleißt wie die Sünde. Wer kann dir eine solche Summe borgen?“
„Borgen, Vater?“ fragte der glückliche junge Mann. „Geschenkt habe ich es erhalten, geschenkt!“
„Das ist unmöglich, ganz und gar unmöglich!“
Der Vater machte ein ernstes, fast trauriges Gesicht; die anderen aber drangen in Eduard, ihnen zu erzählen, von wem er das viele Geld habe. Er mußte ihnen Folge leisten. Daher überließ er Engelchen den Ofen und erzählte aufrichtig, wie er in den Wald gegangen sei, um Holz zu holen, und dort den Förster getroffen habe, von dessen Frau ihm dann die Eßwaren in den Korb gepackt worden seien.
„Soweit ist alles erklärlich“, sagte der Vater. „Die Liebe zu uns hätte dich beinahe zum Dieb gemacht, und ich danke Gott, daß er dich nicht aus seiner Hand gelassen hat. Aber das Gold, das Gold, das kannst du nicht vom
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