61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig
Ballk –“
Das Wort blieb ihm auf der Zunge liegen. Sie standen miteinander im dunklen Flur. Hätte sie sein Gesicht sehen können, so wäre sie gewiß erschrocken über die Todesblässe, welche sich plötzlich über dasselbe verbreitet hatte. All sein Blut wich nach dem Herzen zurück. Es war ihm, als ob er im nächsten Augenblick ersticken müsse.
„Nun, was sagst du dazu?“ fragte sie, ärgerlich über sein langes Schweigen.
„Wann ist der Ball?“ fragte er.
„Nächsten Dienstag.“
„Wo?“
„Hier in der Schenke.“
„Da ist ja Maskenball, wie ich gehört habe!“
„Jawohl, Eduard. Der erste Maskenball, den ich mitmache!“
„Aber man sagte doch, daß er nur für das Stadtkasino sei?“
„Allerdings für das Kasino und für die, welche von den Mitgliedern eingeladen werden.“
„Und du gehörst zu diesen Geladenen?“
„Natürlich! Ich habe sogar den Maskenanzug erhalten!“
Sie sagte das beinahe jubilierend, ganz in demselben freudigen Ton, in welchem vorhin seine hungernden Geschwister das Brot bewillkommnet hatten. Es war ihm ganz so, als ob sich eine harte, kräftige Hand um seine Kehle lege, um ihn zu erwürgen, und es dauerte lange, ehe es ihm gelang, die Frage hervorzustoßen:
„Den Maskenanzug? Den kann ein Mädchen doch nur von ihrem Geliebten oder gar Verlobten erhalten!“
„Meinst du? Nun, vielleicht habe ich so einen Geliebten oder gar Verlobten!“
„Engelchen, sagst du das im Ernst?“
Sie hörte das Zittern seiner Stimme. Sie war nicht schlecht; sie war auch nicht leichtsinnig; sie war nur jung und unerfahren. Sie hatte ihn lieb, so lieb, nun ja, wie man einen Nachbarssohn gewöhnlich zu lieben pflegt, dachte sie, und da gab es ihr Spaß, ihn ein wenig zu necken oder gar zu ärgern. Denn daß er sich ärgere, das hörte sie ja: Seine Stimme bebte vor Zorn.
„Denkst du denn, daß ich Spaß mache?“ fragte sie.
„Und wer ist es, der dir einen Maskenanzug schicken darf?“
„Ein feiner Herr, ein Mitglied des Kasinos!“
„Ah, kein armer Webersohn?“
„Nein.“
Ihr Ton hatte bei diesem Wort etwas schnippisch Hartes. Sie merkte das gar nicht, und noch viel weniger dachte sie daran, sich darüber Rechenschaft zu geben.
„So gratuliere ich!“ meinte er leise.
Man hätte fast sagen können, es sei eine ersterbende Stimme, mit der er diese Worte hervorlispelte.
„Ich danke! Du freust dich doch darüber?“
„Ich freue mich, wenn ich dich glücklich sehe, Engelchen. Gott weiß es, wie ich mich grämen würde, wenn du unglücklich wärst. Was für ein Anzug ist es, den du erhalten hast?“
„Ich gehe als Italienerin!“
„Das kenne ich nicht. Ist es hübsch?“
„Ach, allerliebst, sage ich dir! Möchtest du mich nicht einmal in dem Kostüme sehen?“
„Gar zu gern, wenn ich darf!“
„Du darfst. Komme nachher herüber, wenn die Eltern nicht mehr wach sind!“
„Warum nicht eher?“
„Weil – weil – na, weil ich den Anzug nicht tragen darf, wenn der Vater dabei ist, und –“
Sie stockte, Eduard aber begriff sie nicht und fragte in seiner Unbefangenheit:
„Warum soll dein Vater den Anzug nicht sehen? Ist er denn zu häßlich?“
„O nein; er ist im Gegenteil gar zu schön, wie ich bereits sagte. Und sodann weißt du ja, daß der Vater heute schlechte Laune hat. Ich möchte nicht haben, daß er dich bemerkt. Also komm später; vielleicht in einer Stunde!“
„Gut, Engelchen, ich komme!“
Er gab ihr die Hand. Diese war so kalt, so eigentümlich kalt. Es war nicht die Kälte, welche vom winterlichen Frost kommt, sondern jene schaurige Kälte, welche – Engelchen entsann sich, daß die Hand ihres Großvaters, als derselbe tot im Sarg lag, sich ganz ebenso angefühlt hatte. Sie zuckte zusammen und zog ihre Hand aus der seinigen, öffnete die Tür und eilte raschen Laufes ihrem Häuschen zu.
Er stand unter der offenen Tür und blickte ihr starren Auges nach. Er blickte noch hinüber, als sie schon längst drüben verschwunden war. Er hatte keinen Gedanken, kein Gefühl; aber er wußte, daß er tot sei, tot, gestorben an einem plötzlichen, fürchterlichen Schlag, der auf sein Herz gefallen war.
Schon als kleine Kinder hatten sie sich gekannt. Er war ihr Beschützer gewesen, ihr Helfer zu aller Zeit. Er hatte nie an die Möglichkeit gedacht, sie auf einen einzigen Tag entbehren zu müssen, denn das lag für ihn ja überhaupt nicht im Bereich der Möglichkeit. So waren sie aufgewachsen mit- und nebeneinander. Es war ihm nie
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