61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig
geht das uns an! Ihre Tochter mag sie pflegen, oder schicken Sie sie in das Hospital!“
Über das hagere, leidende Gesicht des Schreibers flog ein demütiges, trübes Lächeln. Er antwortete:
„Im Hospital muß ich zahlen, und das kann ich nicht. Meine Tochter pflegt die Mutter bereits, aber sie hat jede Minute ein Ereignis zu erwarten, welches selbst beinahe eine Krankheit genannt werden kann.“
Dabei richtete sich das Auge des Schreibers forschend auf das Gesicht des Prinzipals. Dieser vermochte nicht, eine leise Röte zu verbergen, und sagte:
„So rufen Sie nach einem Arzt!“
„Ich habe bereits zu Doktor Werner geschickt, aber er ist bisher noch nicht gekommen.“
„Ich habe das erfahren und ihm verboten, zu Ihnen zu gehen! Was denken Sie denn eigentlich? Ein Kontorist unseres weltberühmten Hauses wendet sich an einen Armenarzt! Wir sind ja blamiert für ewige Zeiten!“
„Verehrtester Herr, ich möchte mich ja sehr gern den Ansprüchen Ihres Hauses gemäß verhalten, aber zwanzig Gulden Monatsgehalt bei einer kranken Frau, vier unerwachsenen Kindern und einer Tochter, welche ihrer Entbindung entgegensieht!“
Wieder zeigte sich jene Röte im Gesicht des Prinzipals.
„Zwanzig Gulden sind vollauf genug!“ sagte er. „Man schränke sich mehr ein; man lebe nicht in Saus und Braus! Andere Leute müssen auch rechnen, wenn sie auskommen wollen.“
„Und dennoch möchte ich ganz untertänigst zum dritten Mal um eine kleine Gehaltszulage bitten. Ich hoffe, daß ich brauchbar bin!“
„Brauchbar sind Sie, das ist nicht zu bestreiten; aber es ist bei uns Grundsatz, niemals einen Gehalt zu erhöhen. Fängt man bei dem einen an, so kommen die anderen auch gelaufen. Legen Sie besonders dem weiblichen Teil Ihrer Familie einige Beschränkung auf, so werden Sie bald merken, daß es Ihnen bessergeht!“
Das war dem armen Schreiber denn doch zuviel. Er richtete sich auf, soweit es seine Gestalt erlaubte; seine müden Augen funkelten durch die Brille, und er antwortete:
„Gerade auf Veranlassung dieses Teils meiner Familie habe ich mich an Sie zu wenden, Herr Seidelmann. Meine älteste Tochter ist unverheiratet; sie erwartet ihre Stunde, sie erwartet aber auch mit wenigstens derselben Gewißheit Ihre Unterstützung!“
Da sprang der junge Seidelmann von seinem Sessel auf und rief: „Sie erwartet ihre Stunde? Was soll das heißen?“
„Fragen Sie eine Hebamme!“
„Und sie erwartet meine Unterstützung? Was heißt das?“
Der Schreiber zuckte die Achseln und sagte:
„Verlangen Sie das wirklich zu wissen, Herr Seidelmann?“
„Natürlich! Ich begreife gar nicht, wie meine Person in Beziehung zu einer Unterstützung für Ihre Tochter gebraucht werden könnte!“
„Nun, so muß ich allerdings sprechen. Ich bin Ihr Untergebener und verdiene mir bei Ihnen mein Brot, wenn es auch mehr als spärlich ist. Ich bin Ihnen Achtung schuldig und zolle sie Ihnen auch gern, aber dennoch muß ich sagen, daß ich es geradezu unbegreiflich finde, daß Sie so tun können, als wüßten Sie nichts.“
„Den Teufel weiß ich! Ich verlange Aufklärung! Aus Ihren Andeutungen kann ich höchstens ersehen, daß ich jedenfalls Opfer eines schlechten Streichs, einer Mystifikation oder sonst einer Dummheit werden soll.“
„Es handelt sich hier weder um eine Mystifikation noch um eine Dummheit, aber allerdings um einen schlechten Streich. Sie entsinnen sich doch wohl, daß voriges Frühjahr Ihr Dienstmädchen krank geworden war?“
„Ja. Wir schickten sie in das Krankenhaus, in welchem sie geheilt wurde.“
„Sie war dort eine Woche in Verpflegung. Sie machten mir damals den Vorschlag, Ihnen während dieser Zeit meine Tochter zur Aushilfe zu geben.“
„Das war eine Gefälligkeit von unserer Seite, denn Ihre Tochter hat für diese Woche anderthalb Gulden erhalten, ein wahrer Fürstenlohn! Das würde für das ganze Jahr achtundsiebzig Gulden ergeben. Welches Gesinde verdient sich so viel?“
„Streiten wir nicht darüber! Sie wissen jedenfalls auch, daß in der letzten Nacht, in welcher meine Tochter in Ihrem Haus schlief, sich jemand in ihre Kammer schlich?“
„Ich soll das wissen? Es hat sich jemand in ihre Kammer geschlichen? Ah, das wirft allerdings ein höchst eigentümliches Licht auf Ihr Fräulein! Sie hat also einen Liebhaber gehabt, den sie mit in ihre Kammer genommen hat? Das ist interessant, sehr interessant!“
Man hätte den scharfen Blitz, welcher jetzt durch die Brille des Schreibers zuckte,
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