61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig
ärmlichen Kleidung so hoch, so stolz vor ihr wie ein Prophet und Prediger. Er hatte gar nicht das Aussehen eines armen Webersohns. Die Angst seines Innern, sie zu verlieren, und sein reges, sittliches Gefühl hatten ihm Worte in den Mund gelegt, wie man sie sonst nur aus dem Mund gebildeterer Männer, als er einer war, zu hören pflegt; aber gerade durch diesen Ernst und diese Strenge fühlte sie sich zurück- und abgestoßen. Es wollte sie zwar kalt überlaufen; aber sie hatte ein Lob, eine kleine Anerkennung, daß sie schmuck und sauber sei, erwartet, und mußte eine solche Rede hören. Die Widerspenstigkeit des Evakindes überkam sie, und so antwortete sie:
„Was redest du von Schande und von dir? Zwischen euch nur hätte ich zu wählen? Was bildest du dir ein! Hast du noch nicht gehört, daß die feinsten Damen, Gräfinnen und Fürstinnen, so ausgeschnitten gehen wie ich hier? Ist das für sie auch eine Schande? Oder solltest du von der Ehre mehr verstehen als sie? Geh weg! Ich habe dir eine Freude machen wollen; nein, eine Auszeichnung sogar ist es, daß du mich als Italienerin noch eher sehen solltest, als der, welcher mir den Anzug geschickt hat, und zum Dank dafür willst du mich zu den schlechten Mädchen zählen? Du bist nicht klug; du bist nicht gescheit; mit dir ist nichts anzufangen!“
„Mit denen vom Kasino wohl mehr?“ gab er ihr zurück.
Hätte er es zu einem freundlichen Blick bringen können, so hätten sich zwei brave Herzen hier gefunden; aber es gelang ihm nicht. Seine letzten Worte erbitterten sie noch mehr; daher antwortete sie:
„Ja; jedenfalls sind sie klüger wie du und vernünftiger. Ein einziger Augenblick bei ihnen wird besser sein als hundert Jahre bei dir!“
Seine Wangen hatten eine ins Graue spielende Farbe angenommen. Er ließ die Arme sinken und schloß die Augen. Es dauerte eine ganze Weile, ehe er sie wieder öffnete. Dann legte er die Hände auf den Stuhl, als ob er sich stützen müsse, und fragte: „Also, du gehst doch auf den Ball?“
„Ja, ich gehe!“
Der Stuhl krachte und prasselte, und die Gestalt des jungen Mannes sank tiefer auf die Lehne herab.
„Und wenn ich dich nun bitte, es nicht zu tun, Angelika?“
„Das ist umsonst! Ich gehe!“
„Wirklich? Ganz bestimmt?“
„Ganz sicher. Es bringt mich nichts davon ab! Ich selbst will es, und der Vater hat es auch befohlen!“
Da richtete er sich langsam auf. Es wurde ihm dunkel vor den Augen; er fühlte, daß er schwankte, aber es gelang ihm doch, die Tür zu erreichen. Dort drehte er sich noch einmal um und sagte:
„Leb wohl, Engelchen, mein liebes, liebes, gutes Engelchen!“
Vielleicht wollte er diese Abschiedsworte in einem sanften, zarten Ton sprechen, aber er brachte es nicht fertig. Seine Stimme klang heiser, beinahe kreischend. Er hatte aller seiner Kräfte bedurft, um überhaupt noch sprechen zu können.
Die Stubentür schloß sich hinter ihm. Seine Schritte gingen laut und schlürfend nach der Haustür; es dauerte lange, bis dieselbe geöffnet wurde, und dann schlug er sie mit lautem Knall zu.
Sie stand noch an derselben Stelle, auf welcher sie ihm ihre letzte Antwort gegeben hatte.
„Was ist das?“ fragte sie. „War er betrunken? O nein, das ist er all seiner Lebtage niemals gewesen. Es war die Wut. Der Grimm bringt den Menschen ebenso ins Taumeln und raubt ihm auch die Stimme, geradeso wie der Schnaps. Nun gut, er soll es merken, daß ich mir aus seiner Wut nichts, gar nichts zu machen brauche!“
Sie trat an den Spiegel, betrachtete sich und flüsterte dabei:
„Ein Mädchen darf ihre Schönheit keinem zeigen, so hat er gesagt. Bin ich denn schön? Na, ein bißchen hübsch mag ich schon sein, aber schön bin ich gewiß nicht; schön kann nur eine feine Dame sein. Schade um ihn! Er ist ein so bildsauberer, ordentlicher Bursche! Aber die Jähzornigkeit, die ich heute bei ihm gesehen habe, kann eine Frau nur unglücklich machen. Wie gut, daß ich noch zur rechten Zeit dahintergekommen bin, sonst wäre es vielleicht gar möglich gewesen, daß ich ihn liebgewonnen hätte.“
Sie ging hinaus, um zu sehen, ob die Haustür wirklich in das Schloß gefallen sei; dies war der Fall, dennoch öffnete sie dieselbe; warum, darüber fragte sie sich allerdings nicht um Rechenschaft. Ihr Blick fiel hinüber zum kleinen Nachbarhäuschen. Dort an der Ecke, in sich zusammengesunken, kauerte eine Gestalt, welche keine Bewegung zeigte.
„Ah, er wartet“, dachte sie, „er meint, daß ich ihm
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