61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig
auskommen. Früher verdiente meine Frau noch nebenbei durch Näharbeiten ein Weniges; jetzt aber ist sie krank; es geht nicht mehr.“
„Lassen Sie sie kurieren!“
„Kann ich das? Einen Arzt kann ich nicht bezahlen, ebensowenig die teure Medizin, und an den Armenarzt darf ich mich nicht wenden, weil Sie sagen, daß dies dem guten Ruf Ihres Hauses schade. Wie soll ich da die Kranke kurieren?“
„Sparen Sie!“
„Mein Gott, mein Gott, wie soll ich sparen! Ich bitte Sie um Gottes willen, mich und mein Kind nicht im Stich zu lassen! Ich will für Sie arbeiten, so fleißig und so treu wie kein anderer! Sie sollen stets mit mir zufrieden sein!“
„Das ist bereits jetzt Ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit! Zulage kann ich nicht geben, prinzipiell nicht!“
„Aber Sie nehmen sich wenigstens meiner Tochter an?“
„Auch das kann mir nicht einfallen! Ich habe das Mädchen mit keinem Finger berührt! Wie sollte ich, ich, Friedrich Seidelmann, die Schande auf mich laden, der Vater eines unehelichen Kindes zu sein! Das ist rein unmöglich!“
„Aber Sie sind es ja doch!“
„Schweigen Sie! Diese Behauptung ist eine Frechheit, die ich gar nicht begreifen kann!“
„Nun wohl, so bin ich gezwungen, aus Ihrem Dienst zu treten. Ich kündige!“
„Ah, wirklich? Wollen Sie verhungern?“
„Gott wird mir helfen! Ich habe bereits eine andere Stelle halb und halb zugesagt erhalten.“
„Wirklich?“ erklang es höhnisch. „Das muß in Ostindien sein oder in Amerika, denn hier gibt es keine einzige Vakanz.“
„Es ist in der Nachbarschaft.“
„Das glaube ich nicht. Bei wem denn, he?“
„Beim Kaufmann Strauch.“
„Ah, bei dem! Hm, Hm! Und da bekommen Sie wohl jedenfalls auch mehr Gehalt?“
„Zehn Gulden monatlich mehr.“
Seidelmann nickte mit dem Kopf leise vor sich hin und fragte, indem er dem Schreiber einen Seitenblick zuwarf:
„Und da gehen Sie wohl sehr gern fort von hier?“
„Ich weiß, daß Sie mich notwendig brauchen; denn ehe mein Nachfolger sich nur einigermaßen eingearbeitet hat, werden Jahre vergehen; aber Sie zwingen mich!“
„Ja, ich zwinge Sie, aber nicht zum Gehen, sondern zum Bleiben! Ich nehme Ihre Kündigung nicht an!“
„Sie müssen Sie annehmen! Ich werde Ihnen vor Zeugen kündigen!“
„Tun Sie das! Aber ich sage Ihnen im voraus, daß Sie mich bitten werden, bei uns bleiben zu dürfen.“
„Lieber sterbe und verderbe ich! Also, Herr Seidelmann, beharren Sie auf Ihrer Weigerung?“
„Ja. Ich kann nicht gegen die Wahrheit! Ich kann mir nicht eine Vaterschaft aufbürden lassen, von der ich nichts weiß!“
„Gut, so sind wir einstweilen fertig! Aber jetzt wenigstens werden Sie mir erlauben, nach meiner kranken Frau zu sehen.“
„Sind Sie mit der Arbeit fertig?“
„Nicht ganz. Ich werde heute nachmittag noch eine Stunde schreiben.“
„Das kann mir nicht passen! Wenn Sie fertig sind, können Sie gehen, keine Minute eher!“
Der Schreiber mußte alle seine Selbstbeherrschung zusammennehmen, um nicht aufzubrausen. Er räusperte sich und sagte dann: „Ich werde trotzdem gehen!“
„Oho! Sie haben zu arbeiten!“
„Von einer Sonntagsarbeit steht kein Wort in unserem Kontrakt! Ich habe lange, lange Jahre meine Sonntage hinter Ihrem Pult zugebracht, ohne einen einzigen Kreuzer oder nur ein einziges anerkennendes Wort dafür zu erhalten! Ich wollte Ihnen ein treuer Diener sein. Jetzt ist meine Frau todkrank; ich bin ihr Mann und der Vater ihrer Kinder; sie muß mir lieber sein als Ihr Pult! Ich gehe!“
Er wendete sich um, griff nach der Mütze und ging.
„Verdammt!“ brummte Seidelmann. „Der Hund fängt an, zu murren! Dieser Pöbel glaubt wirklich, uns den Stuhl vor die Tür stellen zu können! Wenn den Hungerleider der Hafer sticht, so wird man ihm den Brotkorb höher hängen müssen!“
Da ging die Türe auf, und der fromme Schuster trat ein.
„Höre, Fritz, das ist ja ein unverschämter Kerl!“ sagte er.
„Wer?“
„Euer Schreiber. Er rannte an mir vorbei, ohne mich zu grüßen!“
„Das ist sonst seine Art und Weise nicht.“
„Er sagte zwar ‚Adieu‘, aber die Mütze behielt der Mensch auf dem Schädel!“
„Er hat das vergessen. Er war, hm, er war in der Hitze!“
„In der Hitze? Bei dieser Kälte? Hast du ihm eingeheizt?“
„Freilich! Eigentlich aber wollte er mir einheizen.“
„Wirklich? Beginnen die Kinder dieser Welt sich auch in dieser abgeschiedenen Gebirgsgegend zu regen? Ist der Antichrist auch bereits
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