61 Stunden: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
Salons stehen, beobachtete weiter die Straße, dachte an Peterson und überließ die Cops draußen in der Eingangshalle ihrem privaten Kummer. Er konnte ihre Stimmen hören. Sie durchliefen eine kurze Negationsphase. Vielleicht stimmte die Meldung nicht, vielleicht war Peterson nur verletzt. Das hielt Reacher für theoretisch möglich, aber praktisch sehr unwahrscheinlich. Meldungen von Einsatzfahrzeugen waren nicht immer zuverlässig. Und Kopfverletzungen mochten schlimmer aussehen, als sie in Wirklichkeit waren. Bewusstlose konnten für tot gehalten werden. Aber in neunundneunzig von hundert Fällen war es reine Zeitverschwendung, aufs Beste zu hoffen. Das wusste Reacher. Er war ein Optimist, aber kein Dummkopf.
Fünf Minuten später wurde die schlimme Nachricht durch Chief Holland persönlich bestätigt. Er kam die Straße entlang, parkte und betrat das Haus. Er hatte sich dreierlei vorgenommen. Erstens wollte er seinen Leuten die Todesnachricht selbst überbringen, zweitens dafür sorgen, dass sie sich wieder auf ihren Auftrag konzentrierten. Er schickte den einen Cop wieder nach draußen in seinen Streifenwagen; die Frauen der Tagschicht ins Bett zurück und eine Beamtin der Nachtschicht in die Bibliothek; die andere wies er an, Haustür und Straße scharf im Auge zu behalten. Seine Stimme klang ruhig und fest, sein Auftreten war beherrscht. Holland schien ein anständiger Vorgesetzter zu sein. Sicher an seinen Grenzen angelangt, vielleicht etwas überfordert, aber weiterhin funktionierend. Was mehr war, als Reacher in der Vergangenheit von manchen Kommandeuren gesehen hatte, wenn die Kacke am Dampfen gewesen war.
Der dritte Punkt, um den es Chief Holland ging, war etwas zwischen einer Einladung und einem Befehl. Er kam in den Salon, wandte sich an Reacher und forderte ihn auf mitzukommen und sich den Tatort anzusehen.
Janet Salter war wegen des Lärms aufgestanden und hatte sich in die Küche verzogen. Dort spürte Reacher sie auf. Sie war vollständig angezogen und hatte den Revolver in der Tasche ihrer Strickjacke. Sie wusste genau, was er sagen wollte. Sie winkte ungeduldig ab und sagte: »Ich weiß, was ich zu tun habe.«
Er fragte: »Wirklich?«
Sie nickte. »Der Keller, die Waffe, das Kennwort.«
»Wann?«
»Sobald etwas passiert.« Dann sagte sie: »Oder schon vorher. Vielleicht jetzt.«
»Keine schlechte Idee«, meinte Reacher. »Der Kerl ist dort draußen und ganz in der Nähe.«
»Ich weiß, was ich zu tun habe«, sagte sie nochmals.
Reacher stieg auf der Beifahrerseite von Hollands neutralem Dienstwagen ein. Der Chief wendete und fuhr in Richtung Innenstadt. Er bog links zum Park ab und hielt sich dann wieder rechts – an dem Coffeeshop vorbei und zu dem Textilgeschäft weiter, in dem Reacher eingekauft hatte. Dann schlängelte er sich rechts und links und wieder rechts abbiegend durch Wohnstraßen zu einem langen Straßenblock mit eingeschossigen Gebäuden. Alle waren schlicht und quadratisch. Vielleicht hatten sie früher als Geschäfts-, Büro- oder Lagerhäuser gedient. Vielleicht war dies einst der Mittelpunkt des Geschäftsbezirks von Bolton gewesen. Jetzt wirkten sie verfallen. Die meisten machten einen unbewohnten Eindruck. Ein Dreispänner war schon abgerissen worden und somit ein freier Platz von ungefähr fünfzehn mal dreißig Metern entstanden. Er schien vorübergehend als Parkplatz genutzt zu werden, stand tagsüber wahrscheinlich voll und war zu dieser Nachtzeit weitgehend leer. Gefrorener, von Reifen zerfurchter Schnee bedeckte ihn.
Bewacht wurde der Parkplatz von zwei Streifenwagen. Ihre roten Blinkleuchten drehten sich. Ihre Lichtstrahlen huschten rhythmisch über nahe und ferne Flächen. Beide Wagen waren mit je einem Cop besetzt. Die Männer saßen einfach nur da. Es gab keine Neugierigen, die zurückgehalten werden mussten. Für Gaffer war es schon viel zu spät und viel zu kalt.
Petersons Streifenwagen stand am äußersten linken Rand des Parkplatzes. Sein Motor arbeitete weiter im Leerlauf. Das Fahrerfenster war ganz geöffnet. Die verstärkte Stoßstange drückte gegen die unverputzte Ziegelmauer des nächsten Gebäudes.
Holland parkte am Randstein und stieg aus. Reacher folgte ihm, zog den Reißverschluss seines Parkas hoch und stülpte sich die Mütze über den Kopf. Die Seitenstraße, auf der sie standen, verlief in Nord-Süd-Richtung, sodass sie sich im Windschatten befanden. Sie liefen nebeneinander her über den Parkplatz. Keine Gefahr, dass sie
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