61 Stunden: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
haben sie die Fracht deshalb mit dem Code getarnt. Und als seine Bedeutung in Vergessenheit geriet, ist auch das Zeug vergessen worden. Aus den Augen, aus dem Sinn.«
Sie äußerte sich nicht dazu.
Er sagte: »Danke für Ihre Hilfe, Susan.«
»Gern geschehen.«
»Sagen Sie Ihrem Kumpel in Lackland, dass es Angestellte gibt, die für Geld im Archiv nachforschen. Diese Unterlagen sind nicht zufällig gefunden worden. Vielleicht können Sie sich so für den Gefallen revanchieren, den er Ihnen erwiesen hat.«
»Bronze Stars für jedermann. Sonst noch was?«
»Nichts über Kapler?«
»Er hat ohne bestimmten Grund gekündigt. Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen. Merkwürdig, das gebe ich zu, aber es gibt nichts Konkretes. Er ist clean – oder jemand hat hinter ihm sauber gemacht.«
»Okay«, sagte Reacher. »Danke.«
»Sonst noch was?«
»Nein«, sagte Reacher. »Das war’s, denke ich.«
Sie fragte: »Dann sagen wir uns jetzt Lebewohl?«
Er antwortete: »Richtig.«
»War nett, mit Ihnen zu reden.«
»Für mich auch. Alles Gute, Susan. Und noch mal vielen Dank.«
»Klar doch.«
Sie legte auf. Er blieb noch einen Moment mit geschlossenen Augen und dem Hörer auf dem Schoß sitzen. Als der Hörer zu piepsen begann, legte er ihn auf die Gabel zurück, erhob sich und ging in die Küche.
Janet Salter stand mit einem Buch unter dem Arm in der Küche, wo Reacher sie traf. Sie war dabei, ein Glas mit Wasser zu füllen, und offenbar auf dem Weg ins Bett. Als Reacher beiseitetrat, ging sie mit einem Nicken an ihm vorbei zur Treppe. Er wartete noch einen Augenblick, dann machte er einen letzten Kontrollgang durchs Haus. Die Polizistin in der Bibliothek stand zwei Meter von der Terrassentür entfernt: entspannt, aber trotzdem wachsam und entschlossen. Ihre Kollegin in der Eingangshalle saß nach vorn gebeugt auf dem Telefonstuhl und hatte beide Ellbogen auf die Knie gestützt. Reacher kontrollierte nochmals die Straße, dann ging er nach oben in sein Zimmer. Er machte kein Licht und ließ die Vorhänge offen. Der Schnee auf dem Verandadach glitzerte im Mondschein. Die Straße war leer. Es gab nur den mit einem Cop besetzten Streifenwagen, die eisigen Spurrillen und den unaufhörlichen Wind.
Alles still.
In Virginia ließ Susan Turners PC ein Glockenzeichen hören. So meldete das abhörsichere staatliche Intranet, dass eine E-Mail eingegangen war, mit dem angeforderten Einmal-Passwort vom Human Resources Command. Sie kopierte es und fügte es in die Dialogbox der betreffenden Datenbank ein. Der alte Bericht wurde als Adobe-Dokument dargestellt. Wie eine Online-Fotokopie. Der dreiundsiebzigste Eintrag in den Querverweisen im Anhang zu Jack Reachers Personalakte.
Dabei ging es um ein Experiment eines Psychologenteams der U. S. Army, von denen es vor Jahren sehr viele gegeben hatte. Tatsächlich so viele, dass sie die meiste Zeit auf ihren fetten Ärschen herumgesessen hatten, bis ihnen eine Erleuchtung gekommen war. Diese Gruppe hatte sich für genetische Mutationen interessiert, deren wissenschaftliche Grundlagen man schon kannte. Die DNA war entdeckt. Dann war von verschiedenen Seiten über einen Kinderfilm berichtet worden, der auf Militärstützpunkten lief. Ein billiger SF -Streifen über ein Monster. Irgendeine Gummipuppe in extremer Nahaufnahme. Der erste Auftritt des Monsters galt als filmisches Meisterwerk. Es tauchte aus einer Lagune auf. Ein totaler Schock. Die Kinder im Publikum wichen schreiend vor ihm zurück. Diese Reaktion schien universal zu sein.
Die Psychologen waren sich darüber einig, das Zurückweichen vor einer anscheinend tödlichen Gefahr sei eine im Lauf der Evolution entstandene rationale Reaktion. Aber sie wussten auch, dass es Mutationen gab. Beispielsweise wurden Giraffen manchmal mit kürzeren Hälsen als ihre Eltern geboren, was abhängig von den Umständen nützlich sein konnte oder nicht. Das würde sich im Lauf der Zeit herausstellen. Die Evolution würde ihr Urteil fällen. Also fragten sie sich, ob es Kinder gebe, denen der Fluchtreflex fehle. Kontraproduktiv, wenn man ans Überleben der Art dachte. Aber fürs Militär vielleicht nützlich.
Sie schickten Kopien des Films zu abgelegenen Stützpunkten im Pazifik. Zu Army, Navy, Air Force und Marine Corps, um eine möglichst breite Basis zu haben. Im Pazifik, weil die Kinder den Film noch nicht gesehen, noch nicht einmal von ihm gehört haben sollten. Über den Leinwänden installierten sie unauffällige Kameras, die auf die erste
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