61 Stunden: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
irgendwelche Spuren zerstörten, dass sie Reifen- oder Fußabdrücke verwischten. Es gab keine. Der zerfurchte Schnee war wie Wellblech, aber härter, vereist und rutschig. Sie kämpften sich über den Platz und erreichten Petersons Wagen von hinten. Seine Auspuffrohre blubberten geduldig. Das Fahrzeug stand wie ein treuer Diener, der den nächsten Befehl seines Herrn erwartete, da.
Unter ihren Stiefeln knackten Eisplatten, als Reacher und Holland zur Fahrertür weitergingen. Sie sahen durch das heruntergefahrene Fenster in den Wagen. Peterson war zur Seite gefallen, sodass er mit dem Oberkörper auf dem Beifahrersitz lag. Seine Dienstwaffe steckte im Halfter. Sein Kopf lag so im Nacken, dass der Eindruck entstand, er starre etwas höchst Interessantes in der Verkleidung der Beifahrertür an.
Reacher machte kehrt, umrundete das Wagenheck, wobei seine Knie den weißen Auspuffqualm zerteilten, und ging wieder nach vorn zur Beifahrertür. Er legte seine behandschuhte Hand auf den Griff und öffnete sie. Ging in die Hocke. Peterson starrte ihn aus blicklosen Augen an. Er hatte ein drittes Auge genau in der Stirnmitte. Ein perfekt platziertes Einschussloch, genau wie bei dem Anwalt auf der Landstraße östlich von hier. Ziemlich sicher ein Neunmillimeter-Geschoss. Aus recht naher Entfernung. Die Gesichtshaut war angesengt, wies leichte Schmauchspuren auf. Schussentfernung ungefähr anderthalb Meter.
Es gab keine Austrittswunde. Das Geschoss steckte noch in Petersons Kopf: zusammengedrückt, verformt und in Schräglage. Ungewöhnlich für ein Neunmillimeter-Geschoss aus naher Entfernung. Aber nicht unmöglich. Peterson hatte einen richtigen Dickschädel gehabt.
Dass er tot war, stand außer Zweifel. Reacher verstand genug von Ballistik und Humanbiologie und hatte schon genügend Tote gesehen, um sich seiner Sache sicher zu sein. Aber er überzeugte sich trotzdem davon. Er zog einen Handschuh aus und legte zwei warme Fingerspitzen auf die kalte Haut hinter Petersons Ohr. Kein Puls. Überhaupt nichts außer der wächsernen Haut eines Toten, teils weich, teils hart, fest und nachgiebig zugleich, im Gegensatz zu der Haut eines Lebenden völlig fremdartig.
Reacher zog den Handschuh wieder an.
Der Streifenwagen hatte Lenkradschaltung, die noch immer auf D stand. Die Heizung war auf einundzwanzig Grad eingestellt, die Lautstärke des Funkgeräts weit heruntergeregelt. Aus dem Lautsprecher kamen leise Störgeräusche und zwischendurch murmelnde Stimmen, die unverständlich waren.
»Okay«, sagte Reacher.
»Genug gesehen?«, fragte Holland.
»Ja.«
»Was ist also passiert?«
»Weiß ich nicht.«
»Warum ist er nicht geradewegs nach Hause gefahren?«
»Weiß ich nicht.«
»Er hat Ausschau nach dem Todesschützen gehalten«, sagte Holland.
»Das tut ihr alle.«
»Aber dafür war er heute Abend nicht eingeteilt. Also hat er’s auf eigene Faust getan. Wissen Sie, weshalb?«
»Nein.«
»Er wollte Ihnen imponieren.«
»Mir?«
»Sie waren praktisch sein Mentor. Sie haben ihm geholfen. Vielleicht haben Sie ihn sogar unter Druck gesetzt.«
»Hab ich das?«
»Sie haben ihm gesagt, was er im Fall des ermordeten Anwalts tun sollte. All diese Fotos? Sie haben ihm gesagt, was er im Fall des ermordeten Bikers tun sollte. Sie haben alles Mögliche mit ihm besprochen. Andrew sollte der nächste Chief werden. Er wollte ein guter Chief sein. Daher war er bereit, auf jeden zu hören.«
»Ich habe ihn nicht gedrängt, mitten in der Nacht allein nach dem Todesschützen zu fahnden.«
»Er wollte den Fall aufklären.«
»Das tut ihr doch alle.«
»Er wollte Ihren Respekt.«
»Oder Ihren«, entgegnete Reacher. »Vielleicht hat er versucht, dem Scheiß gerecht zu werden, den Sie heute Abend über Funk verbreitet haben. Über das Meth? Er muss sich wie ein Hochstapler vorgekommen sein.«
Eine kurze Pause.
Holland fragte: »Wie ist’s also passiert?«
Reacher sagte: »Er hat hier jemanden gesehen. Bestimmt in einer Limousine oder einem Pick-up sitzend. Zu kalt, um zu Fuß unterwegs zu sein. Er ist auf den Platz gefahren. In einem weiten Bogen. Er hat dicht neben dem anderen Wagen gehalten. Er hat das Funkgerät leise gestellt und das Fenster geöffnet, um mit dem Kerl reden zu können. Aber der Kerl hat ihn sofort erschossen. Er ist nach rechts gekippt, und sein Fuß ist von der Bremse gerutscht. Der Streifenwagen ist weitergerollt und erst hier zum Stehen gekommen.«
»Im Prinzip also wie bei dem Anwalt.«
»Ganz
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