61 Stunden: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
entspanne, gebe ich Ihnen hiermit die Erlaubnis, mich in den Hintern zu treten. Wir haben unsere Probleme und sind vielleicht nicht die U.S. Army, aber wir sind bisher einigermaßen zurechtgekommen. Das sollten Sie bedenken.«
Reacher nickte. »Ja, ich weiß. Nicht Ihre Schuld, sondern die des Bürgermeisters. Wie konnte er bloß diesen Vertrag unterschreiben?«
»Den hätte jeder unterschrieben«, sagte Holland. »Er sichert Arbeitsplätze, die nicht ins Ausland verlegt werden können. Und darauf kommt’s in diesen Zeiten an.«
Danach herrschte kurz Schweigen.
Peterson erklärte: »Die Motels sind alle voll.«
Reacher sagte: »Das weiß ich.«
»Wo schläft der Schurke also?«
»In seinem Wagen. Oder im nächsten County.«
»Wo isst er?«
»Auch dort.«
Peterson hob die Augenbrauen. »Sollen wir Straßensperren errichten? Nach Bolton führen nur drei Straßen hinein.«
»Nein«, widersprach Holland. »Falscher Ansatz. Bauen wir eine starre Verteidigung auf, kann er schon dahinter sein. Wir müssen mobil bleiben.« Dann verstummte er wieder, als hakte er in Gedanken eine Liste ab, um sich davon zu überzeugen, dass alle Punkte erledigt waren. Zu diesem Ergebnis war er anscheinend gelangt, denn als Nächstes stand er auf und verließ wortlos den Raum. Reacher hörte seine Schritte auf dem Linoleum im Flur, dann fiel eine Tür ins Schloss. Vermutlich die seines Dienstzimmers. Er hatte zu arbeiten.
Peterson sagte: »Wir brauchen ein Mittagessen. Sie könnten mit mir nach Hause kommen. Kim würde sich über Gesellschaft freuen.«
»Weil sie einsam ist?«
»Ja.«
»Dann sollten Sie und ich nicht die einzigen Menschen sein, die sie heute zu sehen kriegt. Fahren Sie los, und holen Sie sie ab, dann essen wir zu dritt in der Stadt.«
»Mit einem Tisch wird’s schwierig.«
»Ich stelle mich an, während Sie unterwegs sind.«
»Wo?«
»In dem Coffeeshop, in dem Sie mich gestern gefunden haben. Auf der anderen Seite des Platzes.«
»Aber …«, setzte Peterson an, dann verstummte er.
»Ich weiß«, sagte Reacher. »Von dort aus kann ich die Polizeistation sehen. Ich kann sehen, wann der Bus abfahrbereit ist.«
Bis zum Coffeeshop war es nicht weit, aber Reacher hatte genau Gegenwind. Während der ersten paar Schritte taten ihm die vom Wind ins Gesicht gepeitschten Eiskristalle wie Nadelstiche weh, aber dann wurde es gefühllos, und er spürte nichts mehr. Die Schlange von Gästen, die auf einen Tisch wartete, reichte bis auf die Straße hinaus. Reacher stellte sich hinter einer Frau und einem Kind an, die in Steppdecken gehüllt waren, die sie vermutlich aus ihrem Motel mitgenommen hatten. Verübte ein Kerl in Florida oder Arizona ein Schwerverbrechen und landete in einem Gefängnis in South Dakota, musste die Familie ihm folgen. Zumindest in den ersten zwei, drei Jahren. Später vielleicht nicht mehr. Lange Haftstrafen ließen viele Ehen zerbrechen.
Die Schlange bewegte sich langsam, aber stetig weiter, und Reacher gelangte in den Bereich des innen angelaufenen Fensters. In dem Lokal konnte er schemenhafte Gestalten umherhasten sehen. Zwei Bedienungen. Regelmäßiger Lohn, vermutlich wenig Trinkgeld. Die Familien von Häftlingen besaßen nicht viel Geld. Hatten sie welches, waren sie keine Familien von Häftlingen. Oder schlimmstenfalls saß ihr Angehöriger irgendwo im Club Fed und führte jahrelang Drechslerarbeiten aus oder las Bücher.
Mutter und Kind zwängten sich mit ihren Motelsteppdecken durch die Tür. Reacher wartete auf dem Gehsteig, bis er an der Reihe war. Er stand an die Mauer gedrängt, wo er den Wind kaum spürte. Dann verließ eine Frau mit drei Kindern das Lokal und Reacher schlüpfte hinein. Er wartete an der Kasse, bis eine der Bedienungen zu ihm herüberschaute. Er hob drei Finger in die Höhe und formte lautlos mit den Lippen das Wort drei . Die Bedienung nickte, wischte einen Tisch ab und winkte ihn zu sich heran. Als er dort Platz nahm, fuhr draußen Petersons Wagen vor: ein schwarz-weißes Ungetüm hinter der angelaufenen Scheibe. Er sah Peterson über den Gehsteig kommen. Seine Frau war nicht dabei. Der Cop ignorierte die Schlange und betrat den Coffeeshop. Niemand beschwerte sich darüber. Peterson war in Uniform.
Reacher blieb sitzen. Peterson schlüpfte aus seinem Parka und nahm in unbehaglichem Schweigen, das erst unterbrochen wurde, als die Bedienung mit ihrem Bestellblock in der Hand an den Tisch trat, Platz. Dies war kein Lokal, das einem ein paar Minuten lang Zeit
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