616 - Die Hoelle ist ueberall
sehen, Euer Exzellenz«, begrüßte der Pfarrer den Bischof. »Und Sie ebenfalls, Pater Cloistre. Hatten Sie eine angenehme Reise?«
»Ein wenig beschwerlich und heiß«, erwiderte der Bischof und streckte dem Pfarrer seinen Ring hin. Der beugte das rechte Knie und küsste den Ring, während er die vorge-schriebene Verbeugung vollzog.
Pater Cloister gab der Pfarrer mit einem gewissen Miss-trauen, das er allen Fremden gegenüber empfand, die Hand. Zudem erschien er ihm zu jung für eine so verantwortungs-volle Aufgabe.
»Machen wir uns so schnell wie möglich an die Arbeit«, sagte der Jesuit. »Morgen früh muss ich in Rom an einer Au-dienz des Heiligen Vaters teilnehmen.«
Bei den Worten »Heiliger Vater« klappte der alte Pfarrer den Mund auf und hauchte ein leises »Oh!«. Zugleich wich er ein Stück zurück. Als er sich von diesem Anfall einfältiger Bewunderung erholt hatte, nickte er und sagte: »Selbstverständlich. Wenn Sie so gut wären, mich zu begleiten, bringe ich Sie zum Friedhof. Ich habe den Totengräbern Bescheid gesagt, sie sollen sich für die Exhumierung bereithalten.«
Seit der Reform des Reglements zur Heiligsprechung im Jahre 1917 war es nicht mehr vorgeschrieben, die Leichen zu exhumieren, um zu überprüfen, ob sie unverwest waren, oder ob ihre Särge innen Kratzspuren aufwiesen. Ersteres war ein eindeutiges Zeichen ihrer Heiligkeit, während Letzteres bedeutete, dass die beerdigte Person noch nicht wirklich tot gewesen war. Folglich war sie im Sarg wieder erwacht und hatte verzweifelt gegen das Holz geschlagen und gekratzt, um sich zu befreien. Ein vergebliches Unterfangen; überdies galt Verzweiflung als unvereinbar mit dem Heiligenstatus. Dennoch wurden weiterhin oft Exhumierungen vorgenommen, wenn die sterblichen Überreste einfach zugänglich waren.
Die drei Priester gingen zum Auto und stiegen ein. Eine Traube Nachbarn, herbeigerufen von der Bedienung und der Stammkundschaft des Cafés, zog im Eilschritt hinter dem Wa-gen her. Jeder wollte sehen, was diese Abgesandten des Heiligen Stuhls mit der Leiche ihres guten Don Higinio machen würden.
Über dem Friedhof lag ein leichter Verwesungsgeruch, verstärkt durch die Hitze. Die Sonne brannte gnadenlos auf die Köpfe der fünf Männer herab, die sich um das Grab von Don Higinio versammelten. Der Bischof merkte, wie ihm trotz seiner Kopfbedeckung der Schweiß vom Scheitel über die Stirn und das ganze Gesicht lief. Die Totengräber, welche die Erde über dem Sarg hatten entfernen müssen, ruhten sich im Schatten aus. Die Hemden klebten ihnen am Körper. Auf einen Ruf des Pfarrers hin nahmen sie die Mützen ab und traten näher. Unter dem aufmerksamen Blick von Pater Cloister entfernten sie mit Brechstangen den hölzernen De-ckel des Sarges von Don Higinio, der, völlig vermodert, in mehrere Teile zerfiel, obwohl die Männer sehr behutsam zu Werke gingen.
Die Einwohner von Horcajo beobachteten die Szene. Dicht an dicht klebten sie am Eisengitter, durch das man auf den Friedhof gelangte, und versuchten, etwas zu erkennen. Sie konnten nur die Totengräber sehen, die bis zur Taille im Grab standen, Holzstücke herausklaubten und zur Seite leg-ten. Die Priester hingegen konnten die in ein verschlissenes Leichentuch gehüllte Leiche des Exhumierten sehr wohl betrachten. Während Pater Cloister sich vorbeugte, um besser sehen zu können, zog einer der Totengräber den Stoff zurück. Er stieß einen erstickten Schrei aus, sprang zurück und krallte die Hände in die Erde, ohne jedoch den Blick vom Sarginne-ren abzuwenden. Der andere Totengräber setzte eine befremdete, tadelnde Miene auf, bis sein Blick auf das fiel, was sein Kollege gesehen hatte.
»Herr im Himmel!«, rief der Bischof, und der Pfarrer trat einen Schritt zurück.
Der Einzige, der scheinbar ungerührt blieb, war der Jesuit, der sich neben das Grab kniete und hineinsah.
»Alle seine Knochen sind zermalmt!«, rief der Bischof wut-schnaubend. »Das war das Werk eines Gottlosen. Wir haben es mit einer Entweihung zu tun!«
»Das kann nicht sein, Eminenz«, warf der Pfarrer ein.
Der Kiefernsarg war der Originalsarg, und die Erddecke darüber war intakt gewesen. Eine Entweihung war ausge-schlossen.
Die versammelten Gemeindemitglieder begannen, leise zu tuscheln. Einige Männer und Frauen bekreuzigten sich und begannen zu beten. Sie wussten nicht, was da vor sich ging, doch die Reaktion der Totengräber und Geistlichen ließ nichts Gutes ahnen. Don Higinio musste wohl der
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