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616 - Die Hoelle ist ueberall

Titel: 616 - Die Hoelle ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Zurdo
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Verbrennungen an Armen und Händen erlitten, doch am stärksten war seine Lunge geschädigt worden. Ob er nun überlebte oder nicht, die Ärzte versicherten, dass er sich nie wieder vollständig erholen und künftig stets Atembeschwer-den haben werde.
    Joseph Nolan, der Feuerwehrmann, der ihm das Leben gerettet hatte, hatte sich bisher nicht überwinden können, ihn zu besuchen, obwohl er sich dazu verpflichtet fühlte. Jemanden den Flammen zu entreißen und der Welt der Lebenden zurückzugeben, ist ein Akt der Großzügigkeit, doch er bedeutet auch eine schwere Bürde. Letztlich hat der Retter im-mer das Gefühl, er schulde dem Geretteten etwas, vielleicht, weil er ihn gezwungen hat, ein Leben fortzuführen, das nicht immer einfach ist.
    Nolan erkundigte sich an der Rezeption nach der Intensivstation. Solche Einrichtungen verursachten ihm eine Gänsehaut. Es herrschte absolute Stille, doch sie wirkte nicht im mindesten beruhigend. Der Grund für die bedrückende Stille war das Fehlen von Leben, dieser Zustand zwischen Leben und Tod. Nur wenige, beunruhigende Geräusche waren zu hören: das Murmeln der Beatmungsmaschinen, das ferne Ping eines Apparates, der einen matten Herzrhythmus anzeigte, die raschen Schritte einer Krankenschwester, das metallische Klingeln eines Telefons …
    Der Feuerwehrmann steckte den Kopf in eines der Zim-mer. Es war nicht Daniels. Als er sah, in welchem Zustand sich der Patient darin befand, beschleunigte sich sein Puls. »Verdammt«, sagte er leise und wich entsetzt zurück, bis er mit einer Krankenschwester zusammenprallte.
    »Tut mir leid, entschuldigen Sie«, bat er.
    Die Krankenschwester beklagte sich nicht einmal über den Zusammenprall, als sie das kreidebleiche Gesicht des Feuerwehrmanns sah.
    »Geht es Ihnen nicht gut?«
    »Doch, doch. Danke. Es ist nur … Na ja …« Der Feuerwehrmann deutete mit dem Daumen hinter sich.
    »Für die mit Verbrennungen ist es am schlimmsten …«
    Wem sagte sie das? Doch es war eine Sache, diese Leute inmitten des brausenden Feuers zu sehen, wenn das Adrenalin die Intensität der Gefühle dämpfte, und eine ganz andere, ihnen so mit kühlem Kopf zu begegnen.
    »Ich wollte jemanden besuchen, Mr … ähm … Ich fürch-te, ich kenne seinen Nachnamen nicht. Aber er heißt Daniel.«
    Die Besorgnis der Krankenschwester wich einer argwöhnischen Miene.
    »Sie sind doch nicht etwa einer von diesen Anwälten, oder?«
    Aus ihrem Mund klang das Wort »Anwalt« wie eine wider-liche, ansteckende Krankheit.
    »Oh, nein, nein. Ich bin Feuerwehrmann. Ich habe Daniel da rausgeholt, wissen Sie? Aus dem Feuer.«
    »Ach so. Und können Sie sich irgendwie ausweisen?«
    Der Feuerwehrmann durchwühlte linkisch eine seiner Taschen. Schließlich fand er seine Brieftasche und zog einen Ausweis heraus.
    »Hier, bitte.«
    »Joseph Nolan, Feuerwehr Boston«, las die Frau. »In Ordnung, Mr Nolan, Sie können Daniel sehen. Er liegt in Zim-mer zwei. Ich sage Ihnen das Gleiche, was ich auch der Besu-cherin gesagt habe, die jetzt bei ihm ist: Bleiben Sie nicht zu lange. Hier brauchen alle ihre Ruhe.«
    »Sicher, keine Sorge.«
    Also hatte Daniel Besuch … Bestimmt eine der Nonnen. Soweit der Feuerwehrmann wusste, waren sie seine einzige Familie, wenn man so wollte. Die Mutter des Gärtners hatte ihn verlassen, als er erst wenige Monate alt gewesen war. Sie hatte ihn vor den Toren des Klosters der Vinzentinerinnen abgelegt. Man hatte nie herausbekommen, wer die Frau war und aus welchem Grund sie ihr Kind verlassen hatte. Die einzige Spur war eine kurze handschriftliche Nachricht der Mut-ter: »Bitte haben Sie Erbarmen und kümmern Sie sich um meinen Sohn. Ihn trifft keine Schuld an meinen Sünden. Er ist ein guter Junge. Er weint fast nie. Er heißt Daniel.« Die Nonnen nahmen ihn auf, wie die Mutter gewünscht hatte. Sie stellten keine Fragen und verurteilten niemanden; sie be-schränkten sich darauf, Gott und den Benachteiligten unter seinen Geschöpfen zu dienen.
    Bald wurde deutlich, dass der Junge nicht ganz normal war. Ein Arzt untersuchte ihn und gelangte zu dem Schluss, er sei geistig beträchtlich zurückgeblieben. Unter diesen Um-ständen kam die Adoption durch eine richtige Familie, was die beste Lösung gewesen wäre, nicht in Frage. Da beschlossen die Nonnen, er solle bei ihnen bleiben. Sie gaben ihm ein Heim und dazu ihr Verständnis und ihre Liebe. Und als er alt genug dafür war, gaben sie ihm auch Arbeit als Gärtner des Klosters. Sie waren die Schutzengel, die

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