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617 Grad Celsius

Titel: 617 Grad Celsius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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Stehen. Abgasdunst und überall Wahlplakate, die meisten mit Schnurrbärten oder Zahnlücken verziert. Der eine Helmut warb für ein Modell Deutschland, dem anderen hatten die Werber eine neue Brille verpasst, die freundlicher wirken sollte als das bisherige Gestell.
    Winkler fiel sein Vater ein, für den nie eine andere Partei als die SPD infrage gekommen war. Und das ohne jeden Hintergedanken an eine Karriere.
    Lohse bot ihm eine Lux Filter an. Beim Feuergeben sagte Lohse: »Zurzeit läuft im Kino ein Film, in dem sich Gerard Depardieu den Pimmel abschneidet. Kannst du dir das vorstellen?«
    Winkler paffte und dachte daran, dass Schauspieler und Politiker etwas gemeinsam hatten: Sie verstellten sich und schlugen Schaum. Konnte man sich auf solche Menschen verlassen?
    Lohse blies Kringel. »Karin meint, der Film entmystifiziert die Männlichkeit. Was auch immer das heißen soll.«
    Die Ampel sprang auf Grün. Winkler trat aufs Gas und der Capri gehorchte mit einem rasselnden Geräusch. Autos mit Kennzeichen aus der Umgebung verstopften die Straßen. Die Ferien waren vorbei und die Leute zog es zum Schaufensterbummel in die Stadt der glänzenden Fassaden.
    Winkler antwortete: »Hauptsache, Karin kommt nicht auf die Idee, deine Männlichkeit zu entmystifizieren.«
    Michael lachte, dann sagte er: »Sie beschwert sich, weil wir uns keinen Urlaub leisten können. Und mit dem Kinderkriegen will sie noch warten.«
    Winkler musste an seine Ex denken.
    »Aber vom Hausbau wollte Karin zunächst auch nichts wissen«, fuhr Lohse fort. »Ich hab mir schon einen Namen überlegt für den Stammhalter. Wenn’s ein Junge wird, heißt er Daniel.«
    Winkler bemerkte: »Gabi lebt jetzt in Indien. Angeblich hat sie einen kleinen Sohn, dessen Vater ich sein soll. Sie nennt ihn Swami irgendwas.«
    »Scheiße. Tut mir leid, dass ich mit dem Thema angefangen habe.«
    »Die Leute dort tragen Halsketten mit dem Konterfei ihres Gurus. Sie streben das Nirwana an, was so viel heißt wie Nichts. Das bedeutet für Gabi Selbstverwirklichung. Kannst du dir das vorstellen?«
    Lohse schüttelte den Kopf.
    Winkler hätte gern gewusst, ob die Frau in Rot ihm gestern die Wahrheit erzählt hatte. Er stellte sich sein Baby in den Fängen der Sekte vor: verwahrlost und krank.
    Lohse räusperte sich. »Aber nur weil du mal Pech hattest, muss es dir beim nächsten Mal nicht wieder so gehen. Nimm mich und Karin zum Beispiel. Nicht immer der Himmel auf Erden, aber es funktioniert. Du solltest dir wirklich wieder ein Mädel zulegen, Bernd.«
    Winkler hupte einen Simca mit Mettmanner Nummernschild zur Seite und drückte eine Kassette ins Autoradio, um auf andere Gedanken zu kommen. Der Synthesizerklang war gewöhnungsbedürftig, aber originell. Ein deutscher Text, nicht vergleichbar mit dem Schlager-Schrott, den man sonst zu hören bekam.
    Wenn wir im Dunkeln schweben
    Du kannst mir so viel geben
    Schwarze Flammen greifen nach mir
    Ich brenne – vor Gier nach dir.
    Winkler wusste, dass Lohse Osiris Trance nicht leiden konnte, und erwartete Protest. Aber der Kollege warf nur die Kippe aus dem Fenster und bemerkte: »Ich soll dir übrigens ausrichten, dass du zum Friseur gehen sollst.«
    »Von wem?«
    »Rate mal.«
    »Baumann? Scheiß drauf!«
    Der Kollege runzelte die Stirn. »Und ich dachte, du wärst scharf auf eine Beförderung.«

12.
    Mai 2005
    Michael Lohse machte Anna mit Norbert Immel, seinem Partner im KK 14, bekannt. Beide trugen feste Stiefel, Schutzhelme und Arbeitshandschuhe. Zu dritt versuchten sie, sich einen Überblick zu verschaffen. Sie redeten mit Schutzpolizisten und Kollegen der Kriminalwache sowie den Einsatzleitern von Berufsfeuerwehr und Freiwilliger Feuerwehr, die den vermeintlichen Obdachlosen geborgen hatten.
    Die Nachbarhäuser waren wegen akuter Einsturzgefahr evakuiert worden. Sofort war auch die Suche nach Verschütteten gestartet worden, obwohl noch Erdgas aus einer zerborstenen Leitung strömte und an einigen Stellen des Schuttkegels ein explosionsfähiges Gemisch gemessen werden konnte.
    Die Suchhunde hatten an den Resten der Außenwand zur Hofseite angeschlagen. Erst nach einer Stunde hatten die Helfer die Trümmer weit genug abgetragen, um den Verletzten aus einem Hohlraum zwischen Dachbalken bergen zu können. Ein junger Ausländer im schwarzen Jogginganzug, der in gebrochenem Deutsch einfache Fragen beantworten konnte. Er hatte Glück gehabt. Vor einer Viertelstunde war er in die Uniklinik gebracht worden.
    Unterdessen waren

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