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617 Grad Celsius

Titel: 617 Grad Celsius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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einen Moment, um sich zu orientieren. Nein, sie lag nicht in ihrer möblierten Bude in Čapljina.
    Montagmorgen. Ihr erster Tag im Dienst.
    Sie stieg schwankend aus dem Bett und fand ihr Gleichgewicht. Wie auf einer dicken Watteschicht stakste sie zum Mobiltelefon hinüber und drückte die grüne Taste, doch das Klingeln hatte bereits aufgehört. Anna erinnerte sich daran, dass Ela Bach sie zur Mordbereitschaft eingeteilt hatte.
    Womöglich hatte die Leitstelle sie zu erreichen versucht – ein Tötungsdelikt als Willkommensgruß.
    Anna riss das Fenster auf. Sie hatte höchstens fünf Stunden gepennt und war noch völlig benommen. Picasso folgte ihr in die Küche. Sie trank einen Schluck Leitungswasser und füllte den Napf des Zwergschnauzers, der sofort seinen weißen Bart hineintauchte und schlabberte, als gebe es in den nächsten Tagen nichts mehr.
    Sie hörte die Mailbox ab. Nicht die Leitstelle, sondern ihre Chefin hatte eine Bitte um Rückruf hinterlassen.
    Im Arzneischrank des Vaters fand Anna Aspirin. Während es sich sprudelnd im Zahnputzbecher auflöste, wählte sie Elas Privatnummer.
    »Bach«, meldete sich die KK-11-Leiterin. Aus dem Hintergrund tönten Geräusche, als laufe ein Fernseher.
    »Ich soll dich zurückrufen.«
    »Ja, in der Düsseldorfer Innenstadt ist ein Wohnhaus in die Luft geflogen! Schützenstraße 18, Nähe Wehrhahn. Ursache unbekannt. Über die Zahl der Opfer gibt’s im Moment noch keine Angaben.«
    »Ein ganzes Haus?«
    »Angeblich unbewohnt. Aber eben wurde ein Penner ausgebuddelt, der im Dachgeschoss kampiert hatte. Er liegt jetzt in der Uniklinik und es heißt, dass er wahrscheinlich durchkommt.«
    »Mein Gott, ich bin noch gar nicht richtig da.«
    »Die Kollegen haben im Moment keine weiteren Verschütteten, aber mir wäre es lieber …«
    Anna vernahm, wie Ela an einer Zigarette zog. Sie sagte: »Bin schon unterwegs. Wer leitet die Ermittlungen?«
    »Danke, Anna. Erst einmal ist das KK 14 zuständig und ich weiß nicht, ob die schon ein Team vor Ort haben. Sobald es einen Toten gibt, möchte ich, dass du den Fall in die Hand nimmst. Die Explosion wird in den nächsten Tagen die Schlagzeilen bestimmen, davon können wir ausgehen. Das ARD-Morgenmagazin sendet bereits live von der Unglücksstelle. Kein schlechter Empfang für unsere Bosnien-Rückkehrerin, nicht wahr?«
    Anna legte auf und zog sich rasch an. Eigentlich kam ihr die Arbeit gelegen. Sie würde auf andere Gedanken kommen, sich nicht mehr über Karin und Daniel den Kopf zerbrechen können. Der Papierkram, den sie sich für heute vorgenommen hatte, konnte warten.
    Sie ließ die Terrassentür einen Spalt weit geöffnet, damit der Hund in den Garten konnte. Auf dem Küchentisch fand sie den Autoschlüssel ihres Vaters. Von der Garderobe angelte sie ihre Lederjacke.
    Während sie im großen BMW den Rhein überquerte, machten die Sechs-Uhr-Nachrichten mit dem Unglück in Düsseldorfs Stadtzentrum auf. Als Zeitpunkt der Explosion nannte der Radiosprecher 3.16 Uhr. Das Haus sei eigentlich unbewohnt gewesen, weil es saniert werden sollte. Nur ein Verletzter, vermutlich ein Obdachloser – der Sender bestätigte, was Anna bereits wusste.
    Inzwischen war ihre Benommenheit gewichen. Nicht einmal Sehstörungen, unter denen sie sonst manchmal nach dem Aufwachen litt. Alles im grünen Bereich.
    Nach einer knappen halben Stunde Fahrt erreichte Anna über die Oststraße den Wehrhahn. Kurz vor der S-Bahn-Überführung zweigte rechts die Schützenstraße ab. Ein uniformierter Kollege wollte Anna nicht durchlassen. Sie zeigte ihren Dienstausweis und er winkte sie auf den Parkplatz einer Schule.
    Dort schloss sie das Auto ab und bahnte sich einen Weg durch die Schaulustigen und Medienvertreter bis ans Flatterband, das den Rest der Straße abriegelte. Bereitschaftspolizisten sicherten – wieder musste Anna mit dem grünen Kärtchen wedeln, um durchgelassen zu werden.
    Feiner, grauer Staub bedeckte den Asphalt. Sämtliche Autos, die hier parkten, waren beschädigt und wurden abgeschleppt, um Platz für Räumfahrzeuge zu schaffen. Drei Lkw und ein Radlader standen bereit.
    Als sie die Unglücksstelle erreichte, musste Anna sofort an den Balkan denken: alte Verwüstungen aus dem Bürgerkrieg, neue Schäden durch den Terror rivalisierender Schmugglerbanden.
    Aber das hier war Deutschland.
    Anna wurde klar, warum ihre Chefin schneller als üblich von dem Unglück erfahren hatte: Ela wohnte in Pempelfort, dem benachbarten Stadtteil. Die Explosion

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