617 Grad Celsius
sollen. Jetzt liegt der Wagen wahrscheinlich unter den Trümmern und ist kaputt.«
13.
September 1976
In der Wache las Michael Lohse aus der Morgenpost vor: »Katja Ebstein und Mary Roos sind geschieden, Dorthe und Gitte haben ihre Männer verlassen, Dunja Rajter und Daliah Lavi reichen die Scheidung ein.«
Jemand rief dazwischen: »Waren die mit Polizisten zusammen?«
Lohse fuhr fort. »Hört euch das an: Frauen suchen nach mehr Liebe und kriegen immer weniger davon. «
»Sollten sich mal bei uns auf der Wache melden«, antwortete Wachdienstführer Baumann und schmatzte einen Kuss in die Luft.
Winkler schnappte sich den Lokalteil. Der Anrufer von vorhin: Heute Abend um neun hat er einen Auftritt .
Nirgendwo eine Zeile darüber.
Baumann näherte sich und verströmte Schweißgeruch. Er bohrte seine Finger in Winklers Nacken: »Zwei Zentimeter über dem Kragen.«
»Jeder läuft so rum.«
»Nicht bei uns. Die Schutzpolizei steht für Anstand und Ordnung.«
»Lohse und ich tragen Zivil. Soll man uns an der Frisur erkennen?«
»Wenn du dir nicht gleich morgen früh die Haare stutzen lässt, bist du die längste Zeit Zivilstreife gefahren!«
Winkler verkniff sich die Antwort, die ihm auf der Zunge lag. Als sich sein Chef verzogen hatte, griff er nach dem Telefon und ließ die Wählscheibe rattern. Er kannte einen pfiffigen Abiturienten namens Alex Vogel, der als Reporter für das Boulevardblatt Blitz jobbte. Der Junge war sofort dran.
Winkler sagte: »Heute Abend soll Osiris Trance ein Konzert geben, aber es steht nichts davon in der Zeitung.«
»Der Auftritt ist nicht öffentlich.«
»Was soll das heißen?«
»Die Plattenfirma schmeißt eine Party für handverlesene Presseleute, um die neue Scheibe vorzustellen. Da kommen auch Sie nicht so einfach rein.«
»Das lass mal meine Sorge sein.«
Vogel nannte eine Adresse in Reisholz, im Süden der Stadt. Sie verabredeten sich für zwanzig Uhr. Der Nachwuchsreporter fragte: »Seit wann stehen Sie auf Elektro-Pop?«
14.
Mai 2005
Die Morgendämmerung tauchte das Viertel in einen fahlen Schein. Anna fiel ein Türblatt auf, das im Haus gegenüber der Unglücksstelle halb aus einem Fenster hing – die Explosion hatte es tatsächlich quer über die Straße in die Wohnung der Zeugin Küppers geschleudert.
Irgendwo flötete ein Buchfink. Noch immer trübte Staub die Sicht und nahm allem die Farbe. Eine gespenstische Szenerie, fand Anna.
Die Gasleitung war inzwischen abgeriegelt. Ein Radlader begann, die Schutthalde abzutragen. Dieselqualm machte sich breit. Der erste Lkw dröhnte voll beladen davon. Die Helfer legten Förderbänder an den Trümmerberg.
Anna gesellte sich zu Michael Lohse. »Wir müssen den Ort beschlagnahmen, die Gaslaterne und den gesamten Schutt«, sagte sie. »Jede Baggerschaufel muss begleitet werden, hier und an den Mulden, in die das Zeug gekippt wird. Jedes Teil ist eine potenzielle Spur.«
»Das ist mir klar, Anna, und ich hab das schon veranlasst. Kollege Immel fotografiert wie ein Wilder. Gleich trifft der Sachverständige ein. Und die Laster bringen sämtlichen Schutt auf den städtischen Bauhof. Nichts geht verloren.«
Sein Tonfall klang aufgebracht und Anna rief sich ins Bewusstsein, dass sie hier nicht die erste Geige spielte. Sie beteuerte: »Natürlich trägt der Fall die Tagebuchnummer, die das KK 14 ihm gibt, Michael.«
Anna hörte zu, als Lohse mit einem Techniker der Stadtwerke über die mögliche Ursache diskutierte. Entschieden bestritt der Angestellte die Vermutung, dass aus den Rohren unter der Straße Erdgas ins Haus geströmt sei. Gemäß seinem Plan verfügte das Gebäude nicht einmal über Gasanschluss. Die Versorgungsleitung endete blind im Keller. Auf Wunsch des Besitzers sei Ende der Achtziger die Hausinstallation demontiert und die Anschlussleitung mit einem Stopfen verschraubt worden.
Der Stadtwerkemann mutmaßte, dass jemand die tote Leitung angezapft habe, um Gas zu stehlen, und es dabei zur Entzündung gekommen sei. Anna hielt das für unwahrscheinlich, da niemand das Haus bewohnt hatte.
Ein Feuerwehrmann rief sämtliche Helfer zur Besprechung in eine nahe gelegene Grundschule. Anna machte sich mit Lohse und Immel auf den Weg.
Die Turnhalle der Schule war zum Lagezentrum umfunktioniert worden. Gemeinsam mit den Einsatzleitern der Feuerwehren und des Technischen Hilfswerks vereinbarten sie dort die nächsten Maßnahmen. Bereitstellungsflächen für das Räumgerät, damit sich die Fahrzeuge nicht
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