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617 Grad Celsius

Titel: 617 Grad Celsius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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stumm die Lippen. Schließlich sagte er: »Die Deutschen sind mal wieder Europameister.«
    »In was?«
    »Reformangst.«
    »Bei diesen Reformen kein Wunder.«
    »Trotzdem wird Strom wieder die Wahl gewinnen, oder was glaubst du?«
    Wachdienstführer Zander kam von der Toilette und schüttelte sich die Hände trocken. Er raunzte: »Habt ihr schon die Mitarbeiterbefragung ausgefüllt? Ich krieg einen Anschiss, wenn ich die Zettel nicht komplett bis Freitag abgegeben habe.«
    Koslowski zog den Fragebogen unter der Zeitung hervor. Er las die erste Frage und staunte, was die Bürokraten im Innenministerium mal wieder ausgebrütet hatten.
    Die Aussagen sind positiv oder negativ formuliert. Die Antwortskala reicht in sechs Stufen von vollkommener Zustimmung bis zu vollkommener Ablehnung. Antworten Sie spontan und kreuzen Sie nur ein Kästchen an.
    1.: Das gegenseitige Vertrauen, dass wir offen über alles, auch über ganz persönliche Dinge, reden können, ist bei uns groß.
    Das Telefon schrillte. Zander ging ran.
    Bader raschelte erneut mit der Zeitung und erklärte: »Hier steht, dass die Unternehmer mehr Leute einstellen würden, sobald die Arbeiter länger am Band stehen und auf ihr Weihnachtsgeld verzichten. Ich kapier den Zusammenhang nicht. Der Unternehmer macht vielleicht höheren Profit, aber er braucht doch dann weniger Leute statt mehr, oder bin ich blöd?«
    Koslowski kreuzte an: stimmt völlig. Sie redeten über jeden Scheiß. Ganz offen.
    Zander knallte den Hörer hin und rief: »Hört mal her, Mädels!«
    Ende der Ruhe, der nächste Einsatz: Nachbarn hatten sich über Lärm aus einer Wohnung in der Klosterstraße beschwert, angeblich eine Schlägerei unter Russlanddeutschen.
    Koslowski und sein Partner schlenderten hinaus zu ihrem grün-silbernen Passat. Sie beschlossen, zunächst den Wagen voll zu tanken. Die Nadel stand fast auf Anschlag und für die eigene Gesundheit war es besser, wenn sich die Raufbolde erst gegenseitig fertig machten.
    Die Vertragstankstelle lag außerhalb des Reviers an der Fischerstraße im Stadtteil Derendorf. Während die Zapfsäule brummte, fragte Bader: »Automatenkaffee?«
    »Danke.«
    »Danke ja oder danke nein?«
    Aus dem Funk krächzte die Stimme des Wachdienstführers: »Düssel 11-34 für 11-01.«
    »Was gibt’s?«, fragte Koslowski.
    »Der Nachbar hat noch einmal wegen der Ruhestörung angerufen. Wo bleibt ihr?«
    »Sind so gut wie da.«
    In diesem Moment erblickte Koslowski den Feuerschein. Sekundenlang leuchtete der Himmel über den Häuserreihen im Südosten.
    Auf sein Erlöschen folgte ein dumpfer Knall. Höchstens zwei Kilometer entfernt, schätzte Koslowski.
    »Scheiße!«, rief Bader. »War das Bin Laden oder was?«
    »Laber nicht, steig ein!«
    Sie rasten los, passierten das Thyssen-Hochhaus und wählten die linke Abzweigung der Rampe, die über die Fußgängerzone hinweg auf den Hauptbahnhof zu führte. Außer ihnen war niemand unterwegs, trotzdem schaltete Bader Martinshorn und Blaulicht ein.
    »Nächste links«, dirigierte Koslowski.
    Der Passat bog mit quietschenden Reifen in die Oststraße.
    »Und jetzt?«, fragte Bader und ging vom Gas.
    Die Antwort kam per Funk. »Hier Düssel 11-01, in der Schützenstraße muss irgendwas passiert sein. In der Leitstelle stehen die Telefone nicht still. 11-34, vergesst die Ruhestörung und seht mal nach!«
    »Verstanden«, bestätigte Koslowski.
    Sie rasten einem Taxi entgegen, das beim Ausweichen über den Bordstein krachte. Als sie die Schützenstraße erreichten, rumpelten die Reifen schon nach wenigen Metern über Hindernisse. Bader stoppte.
    Koslowski stieg aus und musste sofort husten. Staubschwaden hüllten ihn ein. Schreie schallten aus den Häusern ringsum. Aus den Fensteröffnungen wehten Gardinen – sämtliche Scheiben im Umkreis zerstört. Leute irrten umher, die meisten im Schlafanzug oder in Unterwäsche.
    Martinshornlärm aus allen Richtungen. Weitere Streifenwagen, Berufsfeuerwehr. Koslowski stolperte über Dachziegel, Backsteine, Reste von Jalousien. Er presste ein Taschentuch vor die Nase. Der Dreck ließ die Augen tränen. Glassplitter knirschten unter seinen Sohlen. Die Anwohner bestürmten ihn, aufgelöst und panisch.
    Dann lichtete sich die Staubwolke und er sah den Albtraum in seinem ganzen Ausmaß. Dort, wo ein Teil der Straße völlig im Dunkeln lag, nur noch vom zunehmenden Mond beschienen.

10.
    Das Handy schrillte und der Vibrationsalarm ließ den Tisch dröhnen, auf dem es lag. Anna brauchte

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