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617 Grad Celsius

Titel: 617 Grad Celsius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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gegenseitig behinderten. Platz für weitere Zelte. Die Hundestaffel wurde bis auf zwei Tiere und ihre Führer nach Hause geschickt. Notfallseelsorger sollten sich um die Anwohner kümmern.
    Eine längere Diskussion galt den Garagen im Hinterhof des Unglücksorts. Man einigte sich darauf, zwei davon kurzerhand abzureißen, um die Radlader über die Gerresheimer Straße auch an die Rückseite des Geländes schaffen zu können.
    Es zeichnete sich ab, dass die Schuttmengen den städtischen Bauhof überfordern würden. Anna regte an, auf der Mülldeponie Hubbelrath ein gesondertes Areal zur Lagerung einzurichten, damit mögliche Spuren nicht verloren gingen.
    Als sie zum Unglücksort zurückkehrte, musste sie zum dritten Mal den Ausweis vorzeigen. Feuerwehrleute murrten über die Ermittler in Zivil. Anna vernahm, wie sich uniformierte Polizeikollegen hinter ihrem Rücken Anspielungen zuraunten.
    Nichte. Ministerpräsident. Steile Karriere .
    Es kotzte sie an.
    Seit kein Gas mehr nachströmte, lief die Arbeit auf Hochtouren. Mehr als hundert Helfer trugen den Schutt per Hand ab – Schicht für Schicht. Die Förderbänder ratterten. Auf der Straße rangierten die Bagger und Lastwagen. Ein Teil der Feuerwehrleute wurde abgelöst. Bereitschaftspolizei rückte an und übernahm die Absperrung. Die Werksfeuerwehr der Chemiefabrik Henkel lieferte Staubmasken. Auch Anna streifte sich eine über.
    Das Auto, von dem Frau Küppers gesprochen hatte, fand sich nicht unter den Trümmern.
    Immel vom KK 14 sprach Anna an: »Ich möchte dir Jonas Freyer vorstellen. Selbstständiger Gutachter und Sachverständiger für Brand- und Explosionsursachenermittlung. Wir arbeiten oft mit ihm zusammen. Es gibt keinen, der besser ist.«
    Sie gab Freyer die Hand. Ein freundlicher Mittdreißiger mit dichtem, fast schwarzem Haar und dem Körperbau eines Ausdauersportlers. An seinem Hals baumelten Digitalkamera und Diktiergerät. »Ich habe gehört, dass Sie in Bosnien waren«, sagte Freyer. »Sie müssen mir bei Gelegenheit davon erzählen.«
    »Vielleicht sollte ich ein Buch darüber schreiben«, antwortete Anna genervt.
    Immel mischte sich ein: »Jonas hat bereits einige Hypothesen, was die Ursache anbelangt.«
    »Ich kann ja ebenfalls ein Buch schreiben«, bemerkte der Sachverständige mit einem Augenzwinkern.
    Witzbold, dachte Anna verärgert. Sie sagte: »Schießen Sie los, Herr Freyer.«
    »Im eigentlichen Sinn war das eine Verpuffung. Sie ging vermutlich vom Keller oder Erdgeschoss aus und entstand durch ein kritisches Gemisch von brennbarem Gas und Luftsauerstoff. Die Zündgeschwindigkeit ist geringer als bei Sprengstoff, aber sie genügt, um Wände einzudrücken und die Decken anzuheben.«
    »Okay. Und konkret?«
    »An dem Gebäude fanden Bauarbeiten statt. Möglicherweise wurde Acetylen benutzt, um Stahlteile zu schweißen. Vielleicht auch Propan für die Bitumenbahnen auf den Gaubendächern oder für einen Katalytofen, wo sich die Arbeiter einen Frühstücksraum eingerichtet haben. Beim Wechseln der Gasflaschen kann ein Dichtungsring falsch eingesetzt worden sein. Flüssiggas ist schwerer als Luft und kann bis in den Keller absinken. Ein Wackelkontakt reicht dann aus. Irgendein Funke. Ein Kühlschrank, der sich einschaltet, oder ein Ladegerät. Bei Bauarbeiten wird jede Menge Scheiß angeschlossen. Die Verpuffung hebt die Kellerdecke und das Haus stürzt ein.«
    Anna blickte sich um. Immel nickte ihr zu, beeindruckt vom Sachverstand des Gutachters.
    Sie sagte: »Also halten wir Ausschau nach Gasflaschen.«
    Freyer strich sich über die Oberlippe. »Und nach Elektrogeräten jeder Art, die vielleicht die Zündquelle waren. Aber auch nach verbrannten Klamotten, verschmorten Kanistern.«
    »Gibt’s Flüssiggas in Kanistern?«
    »Nein, aber wenn ich vorsätzlich ein Haus zerlegen möchte, erfüllt ein Brandbeschleuniger unter Umständen den gleichen Zweck. Verdunstetes Benzin mischt sich mit Luft, überschreitet die Zündgrenze, ein Funke – wuff. Teppichhändler und Gastronomen arbeiten gern mit dieser Methode, wenn ihnen die Pleite droht.«
    »Wir haben einen Benzindetektor angefordert«, warf Immel ein. »In den letzten Monaten gab’s eine regelrechte Welle solcher Brandstiftungen.«
    Anna fragte: »Und Erdgas?«
    »Ganz abwegig ist auch diese Idee nicht. Fakt ist, dass es ein Leck gab. Da stellt sich die Frage nach dem Huhn und dem Ei. Vielleicht sind Trümmer derart auf die Leitung gestürzt, dass sie brach. Vielleicht hat aber auch das

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