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617 Grad Celsius

Titel: 617 Grad Celsius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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er seinen Referenten an.
    »Noch nicht, aber …«
    Die Tür ging auf und Sven Arnold trat ein. Er war außer Atem. »Bernd Winkler …«
    »Was ist?«
    »Ich habe ihn ins Krankenhaus bringen müssen.«
    Svens Blick traf Anna. Mitgefühl lag darin, und obwohl sie ihn seit fünfzehn Monaten nicht mehr gesehen hatte, empfand sie eine unverhoffte Vertrautheit. Zugleich hatten seine Worte sie alarmiert.
    »Wie geht es ihm?«, fragte sie.
    »Nur ein kleiner Schwächeanfall. Er ist schon fast wieder auf den Beinen.«
    »Alles bitte mal raus hier für einen Moment«, befahl Strom. »Ich habe etwas mit meiner Nichte zu besprechen. Eine Minute für die Familie muss sein. Auch im Wahlkampf.«
    Die Leute verließen den Raum. Zuletzt Sven, der Anna aufmunternd zunickte. Hinter ihm schloss sich die Tür.
    Anna konnte sich nicht erinnern, jemals allein mit ihrem Onkel gewesen zu sein. Er ging jetzt auf die zweiundsechzig zu, ein großer, knochiger Mann mit weißem Haar und ausdrucksvollen Augen unter dunkel gebliebenen Brauen. Er trug einen modern geschnittenen Anzug mit dezent gemusterter Krawatte, vielleicht aus Doraus Edelboutique an der Königsallee.
    Uwe Strom zog zwei Stühle heran und erklärte: »Dein Vater ist nicht der Mann, für den du ihn hältst.«
    Anna war irritiert. Für einen Moment dachte sie, ihr Onkel wolle behaupten, dass Michael Lohse ihr Vater sei. Mutters Seitensprung vor achtundzwanzig Jahren.
    Doch Strom fuhr fort: »Bernd ist absolut korrupt und selbstsüchtig. Er hat deine Mutter nur geheiratet, um Karriere zu machen. Und er benutzt Politik und Gewerkschaft, um sich persönlich zu bereichern. Er hat sein weites Netz geknüpft. Kohlefraktion – dass ich nicht lache. Es geht ihm nur ums Geld.«
    Anna schüttelte heftig den Kopf.
    Der Ministerpräsident ignorierte es. »Bernd hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn nun alles über ihm zusammenbricht. Und ich kann ihm nicht helfen, selbst wenn ich wollte.«
    »Was meinst du damit?«
    »Sag ihm, er soll die PCC sofort dichtmachen. Sag ihm, dass ich von seinen Machenschaften erfahren habe und dass sie alles übertreffen, wozu ich ihn für fähig gehalten hätte. Uns bleiben noch zehn Tage. Wenn Bernd noch einen Funken Ehre im Leib hat, muss er verhindern, dass die Opposition oder die Presse vor dem Wahltag Lunte riecht, sonst fliegt der Schwindel nicht nur ihm, sondern dem ganzen Land um die Ohren.«
    Anna war klar, dass ihr Onkel mit dem ›ganzen Land‹ sich selbst meinte. Sie fragte: »Von welchem Schwindel sprichst du?«
    »Es ist besser, wenn du nicht mehr weißt. Nur so viel: Deine Mutter ist eine wunderbare Frau. Sie ist an seiner Gier zerbrochen.«
    »Red nicht so über meinen Vater!«
    Uwe blickte sie lange an, dann sagte er: »Du bist ihm sehr ähnlich.«
    Es klang wie eine Beleidigung.
    Die Tür wurde geöffnet, Stroms Referent lugte herein. »Entschuldigung, aber der Zeitplan hat sich etwas verschoben.«
    Der Ministerpräsident stand auf, Anna keines Blicks mehr würdigend.
    »Uwe!«, rief sie. »Eine Frage noch: War Daniel Lohse dein Liebhaber?«
    Stroms Kiefer mahlten. Kleine Schweißtropfen glänzten auf seiner Stirn.
    Der Referent glotzte seinen Chef an, dann Anna, schließlich zog er sich zurück und schloss leise die Tür.
    Anna wiederholte: »Musste Daniel sterben, weil du ihn gefickt hast?«
    »Willst du wirklich wissen, wie es war?«
    »Heraus damit.«
    »Dein Vater hat ihn umgebracht.«
    »Du lügst!«
    »Daniel Lohse versuchte, mich zu erpressen, obwohl er mich malen durfte und ich sogar eine Rede bei der Vernissage gehalten habe. Offenbar ist dem Maler unser Wohlwollen zu Kopf gestiegen. Dieser undankbare, kleine Mistkerl drohte, zur Presse zu gehen.«
    »Wegen der Schweinereien, die du begangen hast, nicht mein Vater!«
    »Allesamt längst verjährt. Welche Partei hatte vor zwanzig Jahren keine geheimen Konten? Aber als ich erfuhr, dass der Knabe tatsächlich mit der Zeitung gesprochen hatte, bin ich deinen Vater noch einmal um Unterstützung angegangen.« Strom hob die Stimme. Sein Finger zielte auf Anna. Speichel sprühte und die Stimme schraubte sich noch höher. »Aber er sollte doch nur mit seinem verdammten Patensohn reden! Diesen größenwahnsinnigen Farbenkleckser zur Vernunft bringen! Konnte ich denn ahnen, dass er ihn einfach … ermordet?«
    Der Ministerpräsident hielt inne, offenbar erschrocken darüber, wie laut er geworden war. Er wischte sich über den Mund und stürmte aus dem Zimmer.
    Draußen hatte Musik

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