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617 Grad Celsius

Titel: 617 Grad Celsius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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wir beide uns ähnlich sind.«
    Vater lächelte und drückte ihre Hand.
    Sven Arnold saß in der Küche bei einem Glas Tomatensaft. Er spielte am Sendersuchlauf des Radiogeräts und stoppte bei der Aufzeichnung eines Jazzkonzerts.
    Erst jetzt fiel Anna auf, dass er keine Ohrringe mehr trug. Er wirkte gesetzter, nicht mehr ganz so verwegen wie früher. An den Schläfen schimmerten vereinzelte weiße Haare. Anna schätzte, dass er vor kurzem die magischen dreißig Jahre überschritten hatte.
    Sie fragte: »Was ist das für eine Affäre, die meinem Vater so zusetzt?«
    »Ich weiß nicht, ob ich darüber reden darf.«
    »Komm schon, Sven.«
    Er hielt das Glas mit beiden Händen fest und tat, als studiere er die Farbe des Safts. »Seine Beziehung zur Deutschen Bergbau AG. Plötzlich schnüffeln dort die Controller in den Büchern.«
    »Welche Rolle spielt PCC?«
    »Du kennst die Firma?«
    »Strom hat davon gesprochen.«
    »Die Performance Concept und Consulting GmbH berät die Deutsche Bergbau AG. Zum Beispiel bei der Regulierung von Bergschäden. Oder in der Außendarstellung. Der Konzern buddelt nicht nur nach Steinkohle, sondern besitzt auch unzählige Immobilien und ist drittgrößter Anbieter beruflicher Weiterbildung in Deutschland. Die brauchen politische Verbindungen.«
    »Und dafür bezahlt der Konzern?«
    »Warum nicht?«
    »Mein Vater nutzt also sein Mandat für private Geschäfte.«
    »Er tut es für das Land. Für die Sicherung der Arbeitsplätze.
    Er steht auf keiner Gehaltsliste und einen Großteil seiner Provisionen spendet er der Partei. Der Ministerpräsident kann sich wirklich nicht beschweren.«
    »Was könnten die Controller finden?«
    »Die PCC stellt Rechnungen aus für Leistungen, die eigentlich nicht stattgefunden haben. Das muss so sein, damit Bernds Honorare verbucht und von der Ruhrkohle steuerlich geltend gemacht werden können.«
    »Also Scheingeschäfte.«
    »Der Vorstand in Essen schiebt Panik und will das aktuelle Projekt stornieren, das eigentlich noch vor der Wahl verabschiedet werden sollte.«
    »Die neue Zeche, finanziert durch Steuergelder.«
    »Ohne Bernds Einsatz würde es dem Ruhrpott noch viel schlechter gehen.«
    »Er sollte sich dem Staatsanwalt stellen. Vielleicht kommt er mit einem blauen Auge davon.«
    »Unmöglich. Du hast ja keine Ahnung, wer davon noch profitiert hat. Leute aus fast allen Parteien. Die gesamte Kohlefraktion im Landtag will versorgt sein. Meinst du, Bernd hätte alles für sich allein behalten? Er versucht jetzt, die PCC abzustoßen, sämtliche Verbindungen zu kappen und die Spuren der Geldtransfers zu verwischen. Dann ist er aus dem Schneider. Wenn sein Herz durchhält, wird er es schaffen.«
    »Mein Gott!«
    »Bernd will es so. Du wirst ihn nicht umstimmen können. Glaub mir, ich hab’s versucht.« Er vergrub sein Gesicht in den Händen.
    Die Schlusstakte des Jazzquartetts verklangen. Ein Sprecher zählte die Namen der Musiker auf. Anna atmete tief durch und fragte: »Bist du mit dem Auto hier?«
    »S-Bahn.«
    »Ich bring dich nach Hause.«
    »Nicht nötig.«
    »Keine Widerrede, Sven. Und danke, dass du so offen zu mir bist.«

52.
    Im Auto hörten sie den Rest der Jazzsendung, vermischt mit Regengeprassel und dem Geräusch der Reifen auf der nassen Fahrbahn. Anna steuerte den neuen Golf über die Südbrücke ins nächtliche Düsseldorf hinein.
    Sven wohnte in Oberbilk, einem Viertel hinter dem Hauptbahnhof, in dem die Mieten vergleichsweise niedrig waren. Er navigierte Anna vorbei an Sexshops, Spielhallen und türkischen Reisebüros. Er wies sie auf eine Kneipe hin, in deren Hinterzimmer ein Verein einen Boxring betrieb, und erklärte, dass er früher dort trainiert habe, gemeinsam mit arabischen Türstehern und kasachischen Möchtegern-Luden, bis er entdeckt hatte, dass er auf der Elektrogitarre besser war als am Sandsack.
    Dann sagte er: »Wir sind da.«
    Anna hielt vor einem schmucklosen Altbau. Sven bedankte sich.
    »Warte«, sagte sie. Ihre Finger in der Jackentasche berührten das Kondom, das sie eingesteckt hatte. Es schien ihr eine Ewigkeit her, seit sie zuletzt mit einem Mann geschlafen hatte.
    »Was ist?«, fragte er.
    »Du bist Hals über Kopf abgehauen, damals nach dem Konzert.«
    »Es war mir peinlich, verstehst du?«
    »Warum hast du dich nicht mehr gemeldet?«
    »Ich dachte, du und Lutz … Außerdem waren wir schon drei Tage später auf Achse. Ein Konzertveranstalter hat an uns geglaubt und uns durch sämtliche Clubs der Republik

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