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62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

Titel: 62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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allerdings für Sie höchst gravierend. Sie haben Ihren Vater hungern lassen?“
    „Das ist die größte Lüge, die es geben kann.“
    „Er hat im halb verfaulten Bett gelegen?“
    „Ich bitte, das Bett untersuchen zu lassen!“
    „Das werde ich allerdings tun. Ich werde auch beim Bäcker, Fleischer und Kaufmann anfragen lassen, ob Heilmann bei ihnen gewesen ist.“
    „Sie werden meine Aussage bestätigen!“ sagte dieser.
    „Das mag sein. Es bleibt immerhin die Annahme offen, daß Sie die Eßwaren nur für sich gekauft haben. Der, welchen Sie als Entlastungszeugen angeben, ist tot. Die anderen Aussagen sind gegen Sie. Ich muß mich Ihrer Person versichern und die Angelegenheit dem Untersuchungsrichter übergeben!“
    „Herrgott! So bleibe ich gefangen?“
    „Ja, weil des Diebstahls im Rückfall angezeigt.“
    „Aber ich bin unschuldig!“
    „Das muß die Untersuchung ergeben. Auf alle Fälle aber mache ich Sie darauf aufmerksam, daß die Uhr fast gar keinen Wert besitzt, die Strafe also nicht sehr hoch bemessen werden kann. Zu dieser Strafe aber kommt, falls Sie für schuldig erklärt werden, die Rückfallquote, welche ein ganzes Jahr beträgt.“
    „Herr Kommissar, ich kann nur versichern, daß ich abermals unschuldig bin. Werde ich wieder verurteilt, so kann es keinen gerechten Richter mehr geben. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Ich habe als Mensch gegen meinen alten Paten gehandelt. Wird mir dies mit abermaliger Zuchthausstrafe vergolten, so – ah, ich will still sein, denn je unglücklicher ich bin, desto größer ist die Freude dessen, dem ich das zu verdanken habe.“
    „Sind Sie wirklich unschuldig, so wäre es unrecht, zu verzweifeln. Sie erhalten Gelegenheit, sich zu verteidigen. Jetzt aber werde ich Sie abführen lassen. Ich hoffe, daß Sie sich ruhig in Ihr Schicksal fügen, anstatt sich dasselbe durch Renitenz zu verschlimmern!“
    Der Kommissar klingelte, und Heilmann wurde in eine Zelle des Polizeigefängnisses gebracht. Er hatte nicht einmal einen vollen Tag die wiedererlangte Freiheit genossen. – – –
    An demselben Tage hatte sich auch für einen anderen die Tür des Gefängnisses geöffnet. Nämlich kurz nach Mittag wurde der junge Mechanikus Wilhelm Fels, der Geliebte von Marie Bertram, nach verbüßter sechswöchiger Gefängnishaft entlassen. Er hatte sich sehr gut geführt, so daß der Gefängnisdirektor eine warme Teilnahme für ihn hegte. Als er sich von diesem verabschiedete, erkundigte er sich dringend:
    „Herr Inspektor, jetzt werden Sie mir vielleicht die Antwort geben, welche Sie mir bisher verweigert haben. Warum durfte ich nicht an meine Mutter schreiben?“
    „Es hätte Ihnen nichts genützt. Sie hätten doch keine Antwort erhalten.“
    „Warum nicht?“
    „Sie ist krank.“
    „Mein Gott! Ist's gefährlich?“
    „Ich glaube nicht. Ich habe es Ihnen nicht mitgeteilt, damit Sie sich Ihre Haft nicht noch verschlimmern sollten. Lieber sagte ich, daß es verboten sei, Briefe zu schreiben.“
    „Was fehlt ihr?“
    „Die Krankheit ist wohl weniger eine körperliche, als vielmehr eine geistige.“
    „Ich errate! Der Schreck, der Gram! Sie ist wohl tiefsinnig geworden?“
    „So ähnlich wird es wohl sein, wenn auch nicht so schlimm, wie Sie es sich denken.“
    „Befindet sie sich in ihrer Wohnung?“
    „Nein. Sie ist im Bezirkshaus untergebracht, wo sie die Pflege findet, welche ihr sonst gefehlt hätte.“
    „Ich muß sofort hin zu ihr. Aber noch eine Frage: Hat sich denn niemand, kein Mensch nach mir erkundigt?“
    „O doch! Ein Herr Bertram war einige Male hier, um Sie zu sprechen. Doch hatte man Gründe, ihn abschlägig zu bescheiden.“
    „Welche Gründe waren das?“
    „Man befürchtete, wie gesagt, daß Sie in Ihrer Gemütsruhe geschädigt würden.“
    „Man scheint mir mehr Sorge gewidmet zu haben, als mir lieb sein könnte!“
    Der Beamte zuckte die Achseln und antwortete:
    „Ich selbst darf nicht handeln, wie es mir beliebt. Ich habe mich nach den mir gewordenen Instruktionen zu richten. Jetzt sind Sie frei. Kann ich Ihnen vielleicht noch einen Dienst erweisen, Herr Fels?“
    „Ich danke! Nun ich wieder frei bin, werde ich mich auf eigene Füße stellen.“
    Er ging und begab sich sofort nach dem Bezirkshaus. Obgleich man ihn da zunächst auf das Wiedersehen vorbereitete, war dasselbe doch viel trauriger, als er es geahnt hatte. Die Blinde erkannte ihn nicht und jammerte in unzusammenhängenden Ausdrücken über das Unglück, dessen sie

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