62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen
gestorben ist, gar nicht wiedergesehen.“
Fels fühlte eine Beunruhigung, ohne den Grund derselben angeben zu können. Er ließ sich nicht halten und ging fort, um sich nach dem Schloßteich zu begeben.
Dieser war ein vielbesuchter Vergnügungsort. Im Sommer wurde er von zahlreichen Gondeln belebt, und im Winter, wenn er seine Eisdecke hatte, glitten von früh bis zum späten Abend die Freunde und Freundinnen des Schlittschuhlaufens über seine spiegelglatte Fläche. An seinen Ufern standen mehrere feine Restaurationen, nach den Anstrengungen des Sports zur Erholung einladend.
Frau Brandt hatte recht. Als Fels den Teich erreichte, erblickte er auf demselben eine solche Menge von Fahrern, daß er fast verzweifelte, den Freund unter einer solchen Zahl herauszufinden. Aber er war glücklich. Eben als er das Ufer erreichte, wollte einer, in dem er Bertram erkannte, an ihm vorübersausen.
„Robert!“ rief er laut.
Der Angerufene schlug, da er sofort nicht anzuhalten vermochte, einen Bogen und kehrte zurück.
„Wilhelm!“ antwortete er dann, als er den am Ufer stehenden erblickte. „Gott sei Dank! Da bist du ja!“
Er kam herbei, den Freund aufs herzlichste zu begrüßen.
„Ich war in deiner Wohnung“, sagte dieser, „hatte aber nicht Ruhe genug, deine Rückkehr zu erwarten.“
„Das glaube ich. Es ist so vieles geschehen, und es gibt so Außerordentliches zu erzählen. Komm, laß uns in die Restauration gehen. Ich kenne ein kleines, lauschiges Zimmerchen, in welchem wir uns ungestört unterhalten können.“
„Du scheinst da zu Hause zu sein?“
„Ich bin täglich hier. Ich arbeite sehr angestrengt, und das Eislaufen ist meine einzige Erholung. Komm!“
Er schnallte die Schlittschuhe ab und führte ihn in die Restauration. Ein Kellner verbeugte sich tief, fast ehrerbietig, und eilte ihnen voran, um die Tür des Kabinetts zu öffnen. Robert ließ Punsch kommen und wurde so schnell und aufmerksam bedient, daß Fels, als der Kellner sich entfernt hatte, zu ihm sagte:
„Es scheint, du bist ein vornehmer Herr geworden!“
„Fast ist es so. Wenigstens bin ich eine allgemein bekannte Persönlichkeit.“
„Wie ist das gekommen?“
„Meine unschuldige Gefangenschaft hat sehr viel dazu beigetragen; der Hauptgrund aber ist, daß man mich für einen großen Dichter hält.“
„Du?!“
„Ja. Du erstaunst?“
„Freilich. Du, ein Dichter?“
„Davon habe ich dir freilich nie etwas gesagt; aber ich habe unter dem arabischen Namen Hadschi Omanah ein Werkchen veröffentlicht, welches vielen Beifall gefunden hat. Nun will ein jeder der Freund dieses großen Dichters sein, der aber von sich doch so wenig hält.“
Nun begannen die Mitteilungen alles dessen, was während der Haft des Mechanikus geschehen war.
In dieser angeregten Unterhaltung wurden sie durch den Eintritt eines Fremden gestört, welcher höflich grüßend sich verbeugte und dann Platz nahm. Er ergriff ein daliegendes Zeitungsblatt und schien bald in den Inhalt desselben so vertieft zu sein, daß er auf ihr Gespräch gar nicht achtete. Dennoch aber ließ er sich kein Wort desselben entgehen.
Die beiden sprachen jetzt nur noch halblaut miteinander. Sie waren bei Marie Bertram angekommen, und Robert erwähnte Madame Groh, bei welcher Marie sich in Stellung befände. Da horchte der Fremde auf, ließ das Blatt sinken, fixierte die beiden schärfer und sagte dann in dem höflichsten Ton:
„Entschuldigung, meine Herren, daß ich es wage, eine Bemerkung zu machen. Sie sprachen von einer Frau Groh?“
„Allerdings“, antwortete Bertram.
„Wohnt diese Dame in der Ufergasse?“
„Ja.“
„Da halte ich es für meine Schuldigkeit, Sie über einen Irrtum aufzuklären. Vorher aber darf ich mich Ihnen wohl vorstellen? Ich heiße Ankerkron, ein schwedischer Name, wie Sie bemerken werden. Ich bin ein Schwede.“
„Ich heiße Bertram, und der Name meines Freundes hier ist Fels.“
„Ich danke! Ich würde es wohl nicht unternehmen, mich Ihnen aufzudrängen, wenn mich nicht eine ganz eigentümliche Bewandtnis dazu veranlaßte. Sie, Herr Bertram, besitzen nämlich eine ganz außerordentliche Ähnlichkeit mit einem Herrn, dem ich sehr verpflichtet bin, und welcher vor ungefähr zwanzig Jahren das Unglück hatte, einen Sohn zu verlieren.“
„Durch den Tod?“
„Nein, auf andere, noch unaufgeklärte Weise.“
„Wo ist das geschehen?“
„In der Nähe dieser Residenz.“
Bertram begann sich zu interessieren. Das klang ja gerade, als
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