62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen
tot. Sie hat die Pflanzung verpachtet gehabt.“
„Das ist freilich etwas ganz anderes! Warum hat er sie denn nicht geheiratet?“
„Er hat ja nie mit ihr gesprochen!“
„Wie dumm! Man muß doch mit der Liebsten reden!“
„Er hat ja gar nicht wagen können, zu denken, daß sie ihn wiederliebe!“
„Unsinn! So einen hübschen, kräftigen Kerl!“
„Er hat das wohl am besten gewußt. Er hat sie zum ersten Mal während eines Konzerts gesehen, welches er gab. Dann hat sie alle seine Konzerte besucht, und er ist stets dagewesen, wenn sie eine Vorstellung gegeben hat. Aber sie haben sich nur immer von weitem gesehen.“
„Das habe ich mit meinem Seligen doch besser gemacht. Einander sehen, miteinander reden, und einander kriegen, das war eins!“
„Es muß doch nicht gegangen sein.“
„Aber was hat das mit dem Duell zu tun?“
„Sehr viel.“
„Nun also! Schnell! Ich vergehe vor Neugierde!“
„Er ist nämlich einmal dabeigewesen, daß ein anderer übles von ihr gesprochen hat, so ein echter amerikanischer Raufbold ist es gewesen, der sie haben wollte, sie aber hat ihn abgewiesen. Darum hat er sie verleumdet.“
„Der schlechte Kerl!“
„Nicht wahr? Max hat das nicht gelitten. Da ist es zu einem Duell gekommen. Es hat gleich geheißen: es wird so lange geschossen, bis einer von beiden tot ist.“
„Allmächtiger! Welche Sündhaftigkeit!“
„Das ist da drüben nicht anders.“
„Dieser Amerikaner wird doch nicht etwa unsern Max totgeschossen haben!“
„Wie wäre das möglich! Max lebt ja noch!“
„Ach ja, das ist wahr! Die Angst vor dem Duell hat mich ganz konfus gemacht. Also weiter.“
„Sie haben also aufeinander geschossen. Max ist gleich von der ersten Kugel in die linke Hand getroffen worden. Der andere ist nämlich schlecht gewesen und hat das Kommando gar nicht abgewartet, sonst hätte er den Bruder doch nicht in die Hand schießen können.“
„Der Bösewicht! Er muß erschossen werden!“
„Natürlich. Er ist auch tot!“
„Wie? Max hat ihn erschossen?“
„Ja.“
„Herrgott! Ich falle in alle Ohnmachten! Nun wird Max doch geköpft!“
„Sie haben ihm freilich ans Leben gewollt; aber er ist geflohen und zu Schiff herübergekommen. Aber diese Flucht hat seine wenigen neuen Ersparnisse verzehrt. Er kam ganz arm zurück.“
„Welch ein Malheur!“
„Und nun war die Hand so kaputt, daß er die Violine ganz aufgeben mußte. Das hat ihm am bittersten weh getan. Er war ja bereits als Virtuose berühmt.“
„Das ist freilich ein schweres Schicksal. Aber die Amerikanerin?“
„Von der weiß ich weiter nichts.“
„Sie konnte sich doch seiner annehmen!“
„Sie war doch nicht seine Braut, und sie konnte auch nicht wissen, wo er hin war.“
„Richtig; daran dachte ich nicht!“
„Nun kam Max nach Hause, verwundet und arm. Mutter war tot und der Vater gelähmt. Der Bruder mußte auf dem Gymnasium erhalten werden. Da galt es, zu sorgen und zu arbeiten!“
„Warum hat sich Max nicht um eine Anstellung beworben?“
„Weil er eben Künstler ist. Er kann und will der Violine nicht entsagen. Er glaubt, es wieder so weit wie vorher zu bringen.“
„Kind, das ist unmöglich. Mit den zerschossenen Fingern kann er doch die Saiten nicht greifen!“
„Nein; aber er kann doch mit ihnen den Bogen halten.“
„Dann müßte er die Geige in die rechte Hand nehmen.“
„Freilich.“
„Das ist verkehrt; das geht nicht.“
„Und doch geht es. Er hat es bewiesen. Er hat die vier Saiten gerade umgekehrt auf die Geige gezogen. Nun streicht er mit der linken und greift mit der rechten Hand.“
„Das ist wunderbar.“
„Geradeso, wie Leute, welche um ihre rechte Hand gekommen sind, lernen müssen, mit der linken zu schreiben.“
„Ich habe noch nichts gehört. Bringt er es denn fertig?“
„Ja. Der Hauswirt hier duldet keine Musik; darum darf Max hier nicht spielen; aber er geht alle Abende nach einem Saal, wo er mit zum Tanz aufspielt.“
„Ist's die Möglichkeit!“
„Erst hatte er die dritte und dann die zweite Geige. Jetzt spielt er schon bereits die erste Violine; solche Fortschritte hat er gemacht. Er sagt, nach Verlauf von anderthalb Jahren werde er wieder öffentlich auftreten können. Dann haben die Sorgen ein Ende.“
„Gott sei Dank! Was haben Sie heute gegessen?“
„Wir werden erst am Abend essen. Horch! Da kommt jemand!“
Sie lauschte und ihr Gesicht erhellte sich. Sie hatte den Bruder am Schritt erkannt. Er trat leise ein, um
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