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62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

Titel: 62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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welches nicht laufen konnte, trotzdem es bereits drei Jahre war. Es litt an der englischen Krankheit, einer Folge der vollständig ungenügenden Ernährungsweise. Und in der Ecke hockte ein älterer Knabe, vorn und hinten ausgewachsen. Bei ihm waren, auch infolge Nahrungsmangels, die Knochen weich geblieben und hatten sich in ihrer jetzigen Lage gebogen.
    Als der Mann nach Hause kam, grüßte er mürrisch und sagte pustend:
    „Eine wahre Heidenkälte! Es ist geradezu, als wollte es einem die Finger wegschneiden. Wie steht es mit dem Feuer?“
    Die Frau seufzte und bückte sich tiefer über die Arbeit. Der Mann legte die Hand an den Ofen und meinte dann:
    „Kalt! Habt ihr denn kein Feuer gehabt?“
    „Nein.“
    „Warum nicht?“
    „Wir hatten kein Holz. Ich konnte nicht in den Wald, weil ich sonst nicht fertig geworden wäre. Ich muß übermorgen liefern, wenn ich Geld haben will.“
    „Aber der Junge konnte doch in den Wald!“
    „Ich bin gestürzt!“ sagte der Verwachsene.
    „Ja“, erklärte die Frau. „Ich schickte ihn fort. Er sollte sehen, ob er im Wald ein wenig Abgebrochenes finden könne. Er ist über eine Wurzel gestürzt, die unter dem Schnee gewesen ist, und hat sich den Fuß verstaucht. Der alte Barbier hat ihn gefunden und nach Hause gebracht.“
    „Wieder Malheur! Es wird immer schlimmer. Ich dachte, schlafen zu können; nun aber muß ich jetzt in der Nacht hinaus in den Wald. Was gibt's zu essen?“
    „Kartoffelsuppe.“
    „Ich denke, ihr habt kein Feuer gehabt?“
    „Ich habe sie beim Wirt gekocht. Der ging vor fünf Minuten zu Bett; da habe ich sie geholt; sie wird vielleicht noch warm sein.“
    Sie stand auf, schüttete die Suppe in eine tönerne Schüssel, stellte diese auf den Tisch und legte einen Löffel dazu. Der Mann setzte sich und begann. Aber als er den ersten Löffel voll hinuntergeschluckt hatte, schüttelte er den Kopf und sagte:
    „Das ist Kartoffelsuppe?“
    „Ja.“
    „Woher hast du denn die Kartoffeln?“
    Die Frau antwortete nicht sogleich; darum sagte das kleine Mädchen:
    „Es waren Schalen!“
    Der Mann legte den Löffel weg und faltete die Hände, aber nicht etwa zum Gebet.
    „Suppe aus Kartoffelschalen!“ sagte er. „Wie hast du denn das fertiggebracht?“
    Die Frau strich sich mit der Hand über die Augen und antwortete mit stockender Stimme:
    „Ich war beim Bürgermeister. Das Dienstmädchen fütterte gerade die Ziege. Es waren Brotrinden und Schalen, an denen noch Brocken hingen. Ich gab gute Worte und habe die Schalen und Rinden erhalten. Die Rinden haben die Kinder bekommen; die Schalen aber habe ich in Salzwasser gekocht und dann durch ein Tuch geseiht. Das ist deine Kartoffelsuppe.“
    Sie sagte das so eintönig hin. Sie gab sich alle Mühe, den Kummer, welcher ihr Herz erfüllte, nicht merken zu lassen.
    „Und du?“ fragte Schulze. „Was hast du gegessen?“
    „Ich habe keinen Hunger.“
    „Oho! Das machst du mir nicht weiß. Gleich kommst du her! Du ißt die Suppe mit.“
    Sie machte keine Miene, diesem Gebot nachzukommen. Er kannte sie; darum sagte er:
    „Wenn du nichts ißt, mag ich auch nichts. Ich schütte also die Suppe zum Fenster hinaus!“
    Er nahm die Schüssel und ging zum Fenster.
    „Halt! Warte!“ rief sie ängstlich.
    Sie holte sich einen Löffel und setzte sich mit ihm an den Tisch. Aber sie langte so langsam zu, daß auf ihren Mann viermal mehr kam als auf sie. Während des Essens erinnerte er sich ihrer Worte. Darum fragte er:
    „Du warst also beim Bürgermeister?“
    „Ja. Bereits am Vormittag.“
    „Warum?“
    „Wegen der Steuern.“
    „Steuern? Schon wieder! Was denn für welche?“
    „Kommunalanlagen.“
    „Diese Herren wissen wirklich nichts weiter, als Geld verlangen! Sie mögen doch vorher dafür sorgen, daß man das, was man braucht, auch wirklich verdient!“
    „Wir sind volle zwei Jahre schuldig!“
    „Nicht möglich.“
    Sie hustete, obgleich ihr wohl kein Krümchen in die unrechte Kehle gekommen war.
    „Die Zeit vergeht“, sagte sie leise. „Der Bürgermeister wurde barsch. Er sagte, daß er uns auspfänden lassen werde, wenn wir nicht bezahlen.“
    Schulze musterte den Inhalt seiner Stube und lachte grimmig vor sich hin:
    „Sie mögen kommen! Was da ist, können sie mitnehmen, mich, dich und die Kinder gleich auch mit! Wann wollen sie denn zur Auspfändung kommen?“
    „Er hat mir noch acht Tage Zeit gegeben.“
    „Wie barmherzig! Aber, ich habe auch meine Ehre. In das Armenhaus lasse ich mich

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