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62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

Titel: 62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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nicht stecken. Ich werde also sehen, daß ich wenigstens einen Teil bezahlen kann. Du sagtest, daß du übermorgen Geld bekommst?“
    „Ja. Ich habe zu liefern, volle siebzig Ellen.“
    „Siebzig Ellen! So hast du täglich zehn Ellen fertiggebracht?“
    „Ja.“
    In diesem Ja lag aber eine ganze Welt von Kummer, Sorge, Entbehrung und Anstrengung. Sie hatte auch des Nachts gearbeitete; ihre geschwollenen Augen konnten davon erzählen.
    „Wieviel bekommst du da?“
    „Für die Elle anderthalb Kreuzer.“
    „Bloß?!“ fragte er erstaunt.
    „Ich habe die letzte Nummer. Meine Augen tun so weh; sie sind ganz schwach geworden. Ich kann nur noch die geringste Sorte fertigbringen, die nur für die Anfänger ist – anderthalb Kreuzer für die Elle.“
    „Und da wollen wir Abgaben bezahlen?“
    „Du bekommst ja Sonnabend auch Lohn!“
    „Ja, als Hundejunge!“
    Sie legte den Löffel weg und ging hinaus, um die Tränen zu verbergen, welche ihr auf die schmerzenden Lider traten. Als sie wieder hereinkam, setzte sie sich nicht abermals an den Tisch, sondern an ihren Klöppelsack, aber sie fragte:
    „Wieviel wird man dir auszahlen?“
    „Pro Tag einen halben Gulden – also drei Gulden!“
    „Da können wir keine Abgaben bezahlen.“
    Er legte den Löffel weg, obgleich er das armselige Kartoffelschalenwasser noch nicht ganz verzehrt hatte. Hungrig war er, ja; aber die Lust zum Essen war ihm vergangen. Er gab das Übriggebliebene den Kindern und schaffte diese dann zu Bett – wenn hier überhaupt von Betten gesprochen werden konnte.
    Jetzt, nun, als er mit der Frau allein war, sagte er:
    „Es gibt nur noch ein Mittel, ein paar Kreuzer mehr zu verdienen.“
    „Was?“
    „Du weißt es.“
    Da erhob sie den Kopf und sagte:
    „Das nicht! Nur das nicht!“
    „Andere tun es auch!“
    „Aber dennoch Diebstahl!“
    „Das weiß ich wohl, und ich habe mich darum auch nicht leicht dazu entschließen können. Aber – wollen wir verhungern?“
    „Gott wird helfen!“
    Er schüttelte den Kopf, blickte seiner Frau in das bleiche, abgesorgte Angesicht und antwortete:
    „So hat es schon lange geheißen.“
    „Und es bleibt auch wahr!“
    „Ja: Gott wird helfen; das bleibt wahr. Er wird nämlich helfen. Wir werden sterben; dann ist uns geholfen.“
    „Sprich nicht so!“ sagte sie bittend.
    „Nun, Gott kann helfen, so heißt es; aber ich begreife ihn nicht, daß er es gar nicht tut. Wir hungern; wir frieren; wir sollen gepfändet werden! Unsere Kinder sind elend und krank; du hast dich fast um das Augenlicht gebracht, und ich bin um einen Arm gekommen, ohne daß man mir einen Kreuzer Entschädigung angeboten hat. Es wird Zeit, daß Gott hilft. Ich werde in den Wald gehen und einen Baum umsägen. Den mache ich klein und verkaufe das Brennholz. Ein Brot oder zwei gibt das doch gewiß.“
    „Es ist Forstdiebstahl!“
    „Aber der Hunger!“
    Sie wollte antworten, aber da erklangen halblaute Schritte auf der Treppe, und dann klopfte es auf eine eigentümliche Weise an die Türe. Die Frau erschrak.
    „Herrgott! Der Waldkönig!“ sagte sie.
    „Ja, das ist er!“ bestätigte ihr Mann.
    Er ging zur Tür und öffnete.
    „Sind die Kinder zu Bette?“ fragte es draußen.
    „Ja. Kommen Sie!“
    Der Waldkönig trat ein, das Gesicht mit einer Maske verhüllt. Die Frau hatte ihr Gesicht tief auf die Arbeit niedergebeugt. Die Gegenwart dieses Mannes war ihr entsetzlich. Sie wollte ihn gar nicht sehen.
    „Haben Sie Zeit?“ fragte er.
    „Ich bin gleich erst nach Hause“, antwortete Schulze.
    „Ich wußte, daß Sie bis Mitternacht Schicht haben. Sie müssen mir einen Brief besorgen.“
    „Wieder nach Tannenstein?“
    „Ja.“
    „Wann?“
    „Bis zum Mittag.“
    „An wen?“
    „Wieder an denselben wie stets.“
    „Ich möchte Sie bitten, lieber einen anderen zu schicken.“
    „Ah! Warum?“
    „Es ist mir zu gefährlich!“
    „Was fällt Ihnen ein! Jemandem einen Brief zu bringen, kann doch nicht gefährlich sein?“
    „Wenn er vom Waldkönig ist, doch!“
    „Kein Mensch wird sie verraten!“
    „Und doch ist dies möglich!“
    „Nun, ich sage doch jedenfalls nichts, und der andere auch nicht!“
    „Man kann nie wissen, was passiert. Und das, was ich wage, ist zu viel gegen das, was ich dafür bekomme!“
    „Ach so! Ist's das?“
    „Ja. Ein Gulden ist zu wenig.“
    „Ich halte es für mehr als genug.“
    „Ich nicht. Denken Sie, acht Stunden Weg!“
    „Im Schacht bekommen sie für zwölf Stunden nur einen

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