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62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

Titel: 62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Minuten lang gefangen gewesen. Der Sohn muß nicht fest genug gebunden gewesen sein. Er hatte ein Messer und bekam den Arm frei. Er hat auch die Fesseln seines Vaters zerschnitten, und dann sind sie fort – über alle Berge fort.“
    „Man hat sie nicht wieder ergriffen?“
    „Bis jetzt noch nicht.“
    „Was aber ist's dann mit dem Grab?“
    „Das verstehe ich nicht recht. Heute ist ein Gericht hier gewesen, um das Grab öffnen zu lassen. Es ist leer gewesen. Und heute abend haben die Schmiede eine Leiche von dem alten Stadtkirchhof geholt, um sie in dieses Grab auf unserem Dorfgottesacker zu legen.“
    „Eine Leiche? Vielleicht handelt es sich nur um einen Pack Schmuggelwaren!“
    „Das ist möglich, denn der Schmied ist als ein heimlicher Schmuggler bekannt.“
    „Also warten wir es ruhig ab! Du kannst gehen!“
    Der Diener entfernte sich. Der Baron aber durchschritt mehrere unerleuchtete Zimmer, bis er eine Treppe erreichte, die in den Schloßgarten führte. Er suchte eine Ecke des letzteren auf und schnalzte, dort angekommen, leise mit der Zunge. Es wurde keine Antwort gegeben, und so begann er, auf dem Rasen langsam auf und ab zugehen.
    Bald aber ertönte ein leises Knacken von der Gartenmauer herab – ein lauteres Rascheln, dann das Geräusch, als ob zwei Personen nacheinander auf die Erde sprängen.
    „Wolf!“ flüsterte der Baron.
    „Ja.“
    „Hierher! Ah, alle beide?“
    „Freilich. Es ist besser zu zweien als einer allein.“
    „Aber sagt mir vorerst, ob es wahr ist, daß man euch arretiert hatte?“
    „Leider!“
    „Wann und wo?“
    „Vor ungefähr einer Stunde auf dem Gottesacker.“
    „Weshalb?“
    „Das ist eine lange Geschichte, zu der ich jetzt keine Zeit habe; es gibt noch viel Notwendigeres!“
    „Aber ich muß es doch wissen!“
    „Zuvor das Notwendigere. Nämlich der Fürst des –“
    „Also wirklich?“ unterbrach ihn der Baron. „Der Fürst ist mit im Spiel?“
    „Und wie! Er ist sogar bei uns in der Oberstube gewesen, wohl über eine ganze Stunde lang.“
    „Was wollte er da?“
    „Hm! Er wußte alles.“
    „Was denn?“
    „Wer den Hellenbach damals erschossen hat, und daß wir beide hier es gesehen haben, wer das Feuer damals an das Schloß gelegt hat, wer der hiesige Waldkönig ist, und so noch vieles andere.“
    „Ihr seid des Teufels!“
    „Es ist wahr, gnädiger Herr. Er kam, um uns auszuhorchen und zum Geständnis zu bringen.“
    „Ihr habt doch nicht etwa geplaudert?“
    „Das fällt uns gar nicht ein. Er hat ganz ohne Resultat sich entfernen müssen.“
    „Wie war sein Äußeres?“
    „Nicht sehr groß und nicht sehr klein. Aber Körperkraft hat der Mensch gerade wie ein Elefant. Aber, da vergesse ich gerade die Hauptsache: Nämlich er weiß auch, daß es heute im Haingrund etwas geben wird.“
    „Alle tausend Teufel! Ich hoffe, daß ihr euch täuscht!“
    „Leider nein! Als er uns nämlich festhatte, sagte er, daß er hier den Helfensteiner Waldkönig gefangen habe, den anderen werde er noch heute abend im Haingrund erwischen. Dann nahm er Abschied.“
    „So ist er wohl gar nach dem Haingrund?“
    „Jedenfalls.“
    „Seit wie langer Zeit ist er fort?“
    „Vielleicht drei Viertelstunden.“
    „Welch ein Unglück! Wieder alles verraten, alles! Wann ist es verabredet?“
    „Zwei Uhr.“
    „Ah! So ist noch Zeit, es abzuwenden! Ich muß fort, sogleich fort! Ich lasse anspannen!“
    „Aber wir, Herr Baron?“
    „Ihr fahrt mit. Ich muß ganz ausführlich wissen, was geschehen ist. Und da ich jetzt keine Zeit habe, euch anzuhören, so müßt ihr es mir unterwegs erzählen.“
    „Wir können aber unmöglich mit!“
    „Warum?“
    „Wir waren gefangen und sind entsprungen. Man wird auf allen Wegen nach uns suchen.“
    „Fatal, höchst fatal! Und doch muß ich fort und muß auch hören, was euch geschehen ist. Wie fängt man das an?“
    „Ich wüßte wohl!“
    „Nun?“
    „Ich weiß, daß der gnädige Herr sich zuweilen den Spaß macht, eine Perücke oder einen falschen Bart anzulegen.“
    „Ja, ja; das ist das richtige! Daran dachte ich gar nicht. Kommt, ich führe euch unbemerkt in mein Kabinett, und wenn ihr es verlaßt, will ich den Menschen sehen, der euch erkennt!“
    Kaum eine halbe Stunde später verließ ein zweispänniger Schlitten das Schloß. Der Graf saß vorn und lenkte die Pferde selbst. Hinter ihm lehnten zwei Herren in den Kissen, von denen der eine einen Pelz trug und der andere sich in einen dicken Havelock gehüllt

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