62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen
alles nur Vermutung. Sie müssen also ebenso verschwinden, wie die Kette und der Fürst des Elends verschwinden wird. Doch vorwärts jetzt!“
Er begab sich nach dem Gartenzaun und stieg darüber. Hinten war ein Fenster erleuchtet. Er klatschte leise in die Hände und wurde doch sofort gehört. Der Kopf eines Mannes erschien an der hellen Scheibe. Sofort griff er mit der rechten Hand nach dem rechten Auge. Das Fenster wurde geöffnet, und eine halblaute Stimme fragte:
„Wer ist's?“
„Der Hauptmann!“
„Sapperment!“
Eine Minute später wurde die hintere Tür geöffnet, und Seidelmann trat heraus.
„Kommen Sie, gnädiger Herr!“ sagte er.
„Sind Sie allein?“
„Nein.“
„Wer ist bei Ihnen?“
„Der Wächter Laube.“
„Was will er?“
„Ich habe ihm für heute nacht einige Weisungen zu erteilen.“
„Er kann hören, was wir haben; aber erkennen darf er mich nicht. Kommen Sie herauf!“
Während er eintrat, zog er eine schwarze Maske hervor, welche er mitgebracht hatte, und band sie vor das Gesicht. Droben erhob, als sie eintraten, der Wächter sich von seinem Stuhl, auf welchem er gesessen hatte. Der Baron beachtete ihn zunächst gar nicht, sondern fragte Seidelmann:
„Winkler war hier?“
„Ja.“
„Das Unternehmen ist heute?“
„Ja, das doppelte.“
„Doppelt? Wieso?“
„Der andre war auch da.“
„Der andre? Wer?“
„Ich kenne ihn nicht. Er war zwei mal da, vorgestern und gestern. Es wird ein großes Geschäft.“
„Donnerwetter!“ klang es unter der Maske des Barons hervor. „Ein anderer? Haben Sie selbst mit ihm gesprochen?“
„Gestern ich und vorgestern mein Bruder.“
„Wie sah er aus?“
„Ich habe sein Gesicht gar nicht gesehen. Der Wächter Laube aber muß es sich betrachtet haben. Durch ihn hat er sich anmelden lassen.“
„So kannte er die Eiche?“
„Natürlich!“
„Hatte er auch das Zeichen?“
„Ja.“
„Welches Aussehen hatte er?“
Diese letzten Worte waren an den Wächter gerichtet, welcher Arndt so beschrieb, wie er ihn gesehen hatte.
„Kenne ich nicht!“ sagte der Baron. „Das ist Verrat!“
„Verrat?“ fragte Seidelmann erschrocken.
„Ja. Ich komme nämlich, um Ihnen zu sagen, daß Sie abgefangen werden sollen. Die Polizei weiß, was wir vorhaben.“
„Herrgott!“ stöhnte Seidelmann, indem er auf einen Stuhl sank.
„Ja. Dieser verdammte Fürst des Elends hat seine Hand mit im Spiel. Aber hier hilft kein Erschrecken. Wir müssen so schleunigst als möglich handeln. Vorher aber muß ich mich orientieren. Wann ist das Zusammentreffen?“
„Zwei Uhr.“
„Im Haingrund?“
„Diesseits desselben.“
„Hm! Wer leitet es?“
„Mein Sohn. Ich wollte jetzt auch hinaus.“
„Ist Ihr Sohn bereits fort?“
„Seit einer Viertelstunde.“
„Vielleicht ist noch Zeit zur Warnung. Den Leuten können sie nichts anhaben, wenn diese keine Waren haben. Wir müssen also sorgen, daß die Waren gar nicht anlangen.“
Seidelmann war fieberhaft erregt. Er sagte:
„Wir müssen fort, fort, sogleich!“
„Halt! Dennoch keine Überstürzung! Gibt es einen Weg, auf welchem wir den jenseitigen Ausgang des Haingrunds unbemerkt erreichen können?“
„Nein. Der einzige Weg ist jedenfalls verlegt, wenn die Sache verraten ist.“
„So müssen wir gerade durch den Wald?“
„Ja.“
„Gut! Sehen wir, daß wir die Packträger von drüben noch jenseits fassen können. Sie müssen umkehren; dann ist alles gerettet.“
„Mein Sohn! Mein Sohn!“
„Pah! Sind keine Pakete da, können sie ihm nichts anhaben. Haben Sie Waffen da?“
„Büchsen?“
„Unsinn! Messer und Revolver.“
„Genug!“
„So eilen Sie! Wir müssen uns bis an die Zähne bewaffnen. Auch zwei Bettücher. Schnell!“
Seidelmann eilte fort. Der Baron wendete sich nun an den Wächter und fragte:
„Kennst du mich?“
„Nein.“
„Ich bin der Hauptmann selbst.“
„Ah!“ antwortete der Mann, sich tief verneigend.
„Der Kerl, welcher gestern und vorgestern bei dir gewesen ist, war jedenfalls der Fürst des Elends. Er weiß also, daß du im Bunde bist. Geht es uns heute fehl, so wird man dich jedenfalls arretieren.“
„Mein Gott!“
„Nicht jammern! Ich werde sorgen, daß dir nichts geschieht. Komm her an das Fenster. Siehst du dort das kleine Gehölz?“
„Ja.“
„Da steht ein Schlitten mit zwei Pferden. Du gehst jetzt hin und bewachst das Geschirr, bis ich komme. Du sollst darauf sehen, daß die Pferde nicht laut werden oder gar
Weitere Kostenlose Bücher