63 - Der verlorene Sohn 04 - Sklaven des Goldes
Macht des Gesetzes liegt eben in der Strenge. Der Richter hat niemals zu belohnen, meist aber zu bestrafen. Und damals – ah, da fällt mir ja ein, daß die gnädige Baronesse hier ja auch dabei war. Auch sie zeugte gegen ihn, Durchlaucht. Wer kann da von Unschuld reden! Kein Mensch, kein einziger.“
„Sie sind Ihrer Sache so gewiß, daß ich mir keine Zweifel gestatten kann. Hier behauptet man, daß ein Unschuldiger für schuldig erklärt worden sei. Ich kenne einen strikt entgegengesetzten Fall, nämlich daß einer, der ein Verbrechen begangen hat und dasselbe auch freimütig eingesteht, doch für unschuldig erklärt wird.“
„Unmöglich!“
„Oh, es ist ein positiver Fall; er ist wirklich geschehen.“
„So ist der Täter unzurechnungsfähig!“
„Auch nicht; man rühmt ihm im Gegenteil sehr gute Geisteseigenschaften nach.“
„Um welches Verbrechen handelt es sich?“
„Menschenraub.“
„Alle Wetter! Das ist gefährlich und wird streng bestraft!“
„Er hat die Frau eines anderen nächtlicherweile aus ihrer Behausung geraubt und sie in seine eigene Wohnung geschafft und dort heimlich hinter Schloß und Riegel gehalten.“
„Nein; da wäre es ja nicht Raub, sondern nur Entführung, Herr Justizrat.“
„Und er ist geständig?“
„Ja.“
„Und nicht bestraft worden?“
„Nein. Das heißt, er wird nicht bestraft werden, denn der Fall ist noch ein schwebender.“
„Also erst kürzlich geschehen?“
„Ja.“
„Höchst interessant. Beschäftigt er bereits den Richter?“
„Noch nicht. Es ist noch keine Anzeige erstattet worden.“
„Wie ist das möglich? Man kennt das Verbrechen und zeigt es nicht an?“
„Sie alle kennen das Verbrechen; es handelt sich nämlich um die Baronin Ella von Helfenstein.“
Ein allgemeines Erstaunen ließ sich bemerken; aber der Justizrat beabsichtigte nicht, einen anderen zu Wort kommen zu lassen; er sagte:
„Die ist aus der Irrenanstalt geraubt worden. Und Durchlaucht sagen, daß der Täter nicht bestraft werden könne, sondern für unschuldig erklärt werden müsse?“
„Ja, das behaupte ich.“
„Nun, Durchlaucht haben ja selbst die Güte gehabt, zu gestehen, daß Sie kein Jurist sind!“
„Hm!“ brummte es.
Der Justizrat drehte sich um und sagte in rügendem Ton:
„Wie? Was? Sagte schon wieder jemand etwas. Man scheint sich hier sehr gern zu räuspern; aber ein jeder Jurist muß überzeugt sein, daß diese Tat bestraft werden muß. Ist der Täter bereits bekannt, Durchlaucht?“
„Nicht allgemein.“
„Sie aber kennen ihn?“
„Sehr genau.“
„So ist es Ihre Pflicht, ihn schleunigst zur Anzeige zu bringen.“
„Schleunigst heißt doch möglichst schnell?“
„Allerdings.“
„Nun, so will ich ihn sofort anzeigen.“
„Recht so! Wir werden also seinen Namen erfahren.“
„Gewiß, wenn Sie es wünschen.“
„Natürlich! Bitte, wer ist es?“
„Ich selbst bin es.“
Diese vier kleinen Worte brachten ein allgemeines Erstaunen hervor. Der Justizrat aber trat einen Schritt zurück, zog die Stirn in Falten und meinte sehr ernst:
„Durchlaucht kennen meine Stellung?“
„Ja. Pensionierter Justizrat.“
„Und dekoriert! Ich bin nicht gewöhnt, Scherz mit mir treiben zu lassen, selbst nicht von einem Vertreter der höchsten Aristokratie!“
„Das ist sehr anerkennenswert von Ihnen. Ein jeder muß wissen, was ihm der andere schuldig ist!“
„Natürlich! Und so hoffe ich, daß auch Sie mir diejenige Achtung zollen, welche zu empfangen ich gewöhnt bin!“
„Hm!“ brummte der Gerichtsrat.
Der Justizrat blitzte ihn mit zornigen Augen an und fragte:
„Wie? Was? Sagten Sie etwas?“
„Nein. Ich brummte nur ein wenig.“
„Ah, so! Durchlaucht, wird bei Ihnen gebrummt?“
„Je nach Belieben. Ich pflege meinen Gästen keine Gesetze vorzuschreiben; behagt mir aber einer nicht, so wird er eben nicht mehr eingeladen. Übrigens haben Sie sich geirrt. Ich habe nicht gescherzt. Ich bin wirklich der Täter des Verbrechens, von welchem wir sprechen.“
„Was? Sie hätten –?“ fragte er erstarrt.
„Ja“, nickte der Fürst.
„Wirklich –“
Abermaliges Nicken.
„Die Baronin geraubt?“
„Wie ich Ihnen sage.“
„Durchlaucht sehen mich ganz fassungslos!“
„Bitte, behalten Sie immerhin Ihre Fassung, wie Sie es als Richter gewöhnt sind! Ich werde Ihnen die Gründe angeben, welche mich zu der betreffenden Tat veranlaßten.“
„Ich bin begierig, sie zu hören.“
„Vorher aber bitte ich
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