63 - Der verlorene Sohn 04 - Sklaven des Goldes
alle die Anwesenden, mir ihr Ehrenwort zu geben, daß sie über das, was hier gesprochen und geschehen wird, bis auf weiteres das tiefste Schweigen bewahren werden.“
„Nein, das kann ich nicht geben! Auf keinen Fall!“
„Warum nicht?“
„Wenn es sich um ein Verbrechen handelt, so ist es meine Pflicht, Anzeige zu machen.“
„Sie haben ein sehr zartes und zugleich strenges Gewissen. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß es sich nicht um etwas Strafbares handelt. Und so können Sie mir auch durch Ihr Ehrenwort Schweigen geloben.“
„Wenn es das ist, gut! Ich gebe mein Wort.“
„Und die anderen Herren?“
Alle stimmten bei. Der Fürst fuhr nun fort:
„Also, ich teile Ihnen mit, daß ich die Baronin aus Rollenburg geraubt und hierher gebracht habe. Ich habe dabei einen Helfershelfer gehabt, nämlich hier den Herrn Doktor Zander.“
„Ah!“ sagte der Justizrat, indem sich aller Augen auf Zander richteten. „Man sagt, daß der Herr Doktor die Baronin in Behandlung gehabt habe.“
„Allerdings! Der Baron hat nämlich die Absicht gehabt, seine Frau zu töten.“
„Unmöglich!“
„Sogar wirklich. Er hat ihr ein Gift eingegeben, infolgedessen sie in ihren gegenwärtigen Zustand gefallen ist. Er hat sie nach Rollenburg zu Doktor Mars geschafft und diesem eine hohe Gratifikation geboten, falls sie sterben sollte. Um sie zu retten, haben wir sie entführt.“
„Romantisch! Höchst romantisch!“ meinte der Justizrat. „In diesem Fall werden Sie allerdings nicht bestraft, denn es fehlt der Dolus, die Absicht, ein Verbrechen zu begehen. Sie hatten vielmehr die Absicht, ein solches zu verhüten. Und diese arme Baronin befindet sich bei Ihnen?“
„Ja. Sie liegt in einem Zustand der Erstarrung. Ich habe ihr durch Herrn Doktor Zander ein Gegengift geben lassen, und sie alle sollen nachher Zeuge ihres Erwachens sein, meine Herren.“
Diese Worte brachten eine bedeutende Wirkung hervor. Ausrufe der Verwunderung, der Befriedigung, der Erwartung wurden laut. Der Justizrat aber kehrte auch hier den juristischen Examinator heraus. Er fragte:
„Sie verfolgen dabei, wie es scheint, eine bestimmte Absicht?“
„Ja, das gestehe ich.“
„Dürfen wir erfahren, welche?“
„Wenn Sie mir versprechen, mir nicht zu zürnen.“
„Oh, ich bin über jeden Zorn erhaben!“
„Sie glücklicher Mensch! Meine Absicht steht nämlich in inniger Beziehung zu dem Gegenstand unseres vorigen Gesprächs. Das Erwachen der Baronin soll den Beweis liefern, daß Brandt unschuldig gewesen ist.“
Der Justizrat fuhr zurück, als hätte ihn eine Natter angezischt. Er sagte in fast drohendem Ton:
„Durchlaucht!“
„Schön! Ich denke, Sie sind über jeden Zorn erhaben?“
„Sie wissen ja wohl, was Sie sagten?“
„Gewiß!“
„Wenn eine Möglichkeit von Brandts Unschuld vorhanden wäre, so läge ja auch die Möglichkeit vor, daß wir uns damals geirrt haben!“
„Sehr folgerichtig!“
„Gegen diese Möglichkeit aber muß ich mich streng verwahren, Durchlaucht! Ich war Vorsitzender!“
„Das kann an meiner Absicht gar nichts ändern. Ich vermute nicht nur, sondern ich behaupte sogar, daß Brandt unschuldig ist.“
Da machte der Justizrat eine Verbeugung und sagte:
„Meine Zeit ist abgelaufen. Durchlaucht gestatten, daß ich mich jetzt zurückziehe.“
„Bitte, bleiben Sie dennoch!“
„Nein, danke!“
Er drehte sich um und schritt dem Eingang zu. Seine Haltung war so stolz, wie die eines Löwen, welcher an einem Rattennest vorübergeht und keinen Appetit fühlt, diese niedrigen Tiere zu verschlingen.
„Herr Justizrat!“ sagte der Fürst, als der pensionierte Gerichtsbeamte bereits an der Tür war.
„Durchlaucht?“
„Sie gehen wirklich?“
„Unbedingt! Ich kann mich nicht beleidigen lassen.“
„Ich ersuche Sie, doch zu bleiben!“
„Danke! Habe die Ehre, meine Herren!“
Er öffnete die Tür. Da rief der Fürst:
„Halt! Sie bleiben!“
Diese Worte waren in einem solchen Ton gesprochen, daß der Justizrat herumfuhr und den Fürsten anstarrte.
„Wie? Was?“ fragte er.
„Sie bleiben!“
„Nein, ich gehe! Selbst ein Fürst kann auf meine freie Selbstbestimmung keinen Einfluß äußern!“
„Und dennoch befehle ich Ihnen, zu bleiben!“
„Befehlen?“ fragte der Pensionierte zornig.
„Ja. Kommen Sie her, und sehen Sie!“
Das klang so bestimmt, so allen Widerspruch ausschließend, daß der Justizrat wieder näher kam.
„Lesen Sie diese Karte!“
Er warf einen Blick auf
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