63 - Der verlorene Sohn 04 - Sklaven des Goldes
Entdeckung eines Verbrechens führt. Dies konnte ja auch bei ihr der Fall sein und dem konnte sie jetzt vorbeugen. Sie näherte sich also, nachdem sie die Kindesleiche einstweilen fortgelegt hatte, um sie nicht bemerken zu lassen, der fremden Person und redete dieselbe an.“
„Wie muß die Werner erschrocken sein!“ meinte der Arzt.
„Natürlich auf das Höchste! In ihrem Schreck ließ sie sich von der Wartensleben leicht ihren Namen, ihre Wohnung und alle anderen Umstände entlocken und entfloh dann, nachdem sie inständig um Verschwiegenheit gebeten hatte. Die Wartensleben versprach, zu schweigen, dachte aber nicht daran, dieses Versprechen zu halten. Sie nahm, nachdem die Werner sich entfernt hatte, daß Kind derselben aus der Schachtel und vertauschte es mit ihrem eigenen. Sogar die Kleider wurden gewechselt. Dann vergrub sie ihr Kind in dem Sarg der Werner und entfernte sich mit dem Kind der letzteren.“
„Um dasselbe hier unter der Scheune zu verbergen?“ fragte der Staatsanwalt.
„Ja, wie Sie bemerkt haben.“
„Welch eine Raffiniertheit! Und die Mutter der Wartensleben war Gehilfin dabei?“
„Natürlich. Nun befand sich aber infolge eines noch unaufgeklärten Umstandes, über welchen wir uns aber bald Klarheit verschaffen werden, eine Person bei der Scheune, welche die beiden Frauen beobachtete.“
„Ein Mann?“
„Nein, sondern ein Frauenzimmer. Ich nehme an, daß Ihnen allen der Riese Bormann bekannt ist?“
„Natürlich! Mehr sogar, als ihm lieb sein kann.“
„Kennen Sie seine Familienverhältnisse?“
„Ja“, antwortete der Staatsanwalt. „Es ist ja die Aufgabe des Richters, sich über die Privatverhältnisse eines jeden Angeklagten möglichst genau zu informieren.“
„So wissen Sie auch, welche Verwandte der Riese hat?“
„Ja. Er hat Weib und ein Kind.“
„Und weiter!“
„Einen Bruder, welcher sich als Akrobat sehen läßt und kürzlich einer fahrlässigen Tötung und vorher Mißhandlungen wegen flüchtig geworden ist. Es ist noch nicht gelungen, ihn zu ergreifen.“
„Lebt die Mutter dieser beiden Brüder?“
„Ja.“
„Wo?“
„Das ist mir nicht gegenwärtig. Sie zieht mit einer Tochter herum, welche in Beziehung auf ihren Körperbau den beiden Brüdern vollständig ebenbürtig ist und infolgedessen sich als Kraftturnerin und Riesendame sehen läßt.“
„Kennen Sie vielleicht ihren Namen?“
„Aurora.“
„Das stimmt. Nun, meine Herren, eben diese Aurora, diese Kraftturnerin und Riesendame war es, welche sich an jenem Abend aus irgendeinem Grund bei dieser Scheune versteckt hatte.“
„Wetter noch einmal!“ entfuhr es dem Obergendarm. „Das wird hochinteressant!“
„Für die Wartensleben war es aber nichts weniger als interessant, bei ihrer verbrecherischen Arbeit überrascht zu werden.“
„Was? Die Wartensleben wurde von diesen beiden Frauenzimmern, Mutter und Tochter, gestört?“
„Ja.“
„Ohne dann Anzeige zu machen?“
„Sie hat ihr Schweigen erkauft.“
„Ah! Wie hoch?“
„Tausend Gulden.“
„Besaß die Wartensleben so viel Geld?“
„Sie scheint sogar fünftausend Gulden besessen zu haben. Nämlich um dieselbe Zeit waren dem Herrn von Scharfenberg fünftausend Gulden veruntreut worden –“
„Ich erinnere mich“, sagte der Obergendarm. „Ich selbst war es, der den Täter zu arretieren hatte, einen gewissen Petermann, der Inspektor des Herrn von Scharfenberg gewesen war.“
„Kennen Sie sein Schicksal?“
„Ja. Er war geständig und wurde verurteilt. Kürzlich ist er begnadigt worden und ist nach der Residenz zurückgekehrt, wie ich gehört habe.“
„Wissen Sie, wo er wohnt und was er treibt?“
„Nein. Ich habe mit dem Einwohneramt nichts zu tun.“
„Er wohnt bei mir. Ich habe ihn als Sekretär engagiert.“
„Ah!“ erklang es vor Überraschung.
„Ja. Ich habe das getan, weil ich überzeugt bin, daß dieser Mann unschuldig ist.“
„Unmöglich! Er hat gestanden.“
„Aus eigentümlichen Gründen. Ihnen will ich eine Andeutung nicht vorenthalten. Nämlich die erwähnte Wartensleben war die Geliebte, die Aushälterin des jungen Herrn von Scharfenberg.“
„Sapristi! Jetzt beginnt es zu tagen!“ sagte der Staatsanwalt.
„Sie hielt ihre Niederkunft in der Wohnung Petermanns, der sie heimlich zu beherbergen und zu verpflegen hatte. Plötzlich war sie verschwunden.“
„Mit dem Kind natürlich.“
„Ja.“
„Und wohl auch mit jenen fünftausend
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