64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte
Gebirgsseite des Flusses sind wir jetzt.“
„Wäre es nicht besser, gleich nach dem Gebirge zu reiten?“
„Wissen wir, welchen Ort er im Auge hat? Die Grenze hat dort eine Länge von zwanzig Meilen. Nein, ich bleibe auf seiner Spur; lange wird er sich nicht auf seine Füße verlassen haben; ich wette, daß er vielleicht bereits im nächsten Dorf einen Wagen gesucht hat.“
Sie setzten ihren Weg fort, jeder an einer Seite der Straße, um zu beobachten, ob die Spur vielleicht an irgendeiner Stelle die Straße verlassen habe. Dies war aber nicht der Fall.
Sie erreichten das nächste Dorf. Am Eingang desselben befand sich ein Chausseehaus mit Schlagbaum. Der Fürst ritt an das Fenster des Einnehmers, bezahlte die Taxe und fragte:
„Hat während der Nacht ein Geschirr die Straße passiert?“
„Ja.“
„Was war es für ein Geschirr?“
„Eine Halbkutsche. Sie gehört dem Gastwirt.“
„Wer saß darin?“
„Das weiß ich nicht. Der Knecht des Wirts saß auf dem Bock, bezahlte sein Geld und fuhr aufwärts nach Örau zu.“
„Ist's weit bis zum Gasthof?“
„Keine Minute.“
Die beiden Reiter lenkten in das Dorf ein. Als sie den Gasthof erreichten, kam der Wirt unter die Tür, weil er glaubte, daß sie bei ihm einkehren würden. Aber sie blieben im Sattel, und der Fürst sagte:
„Haben Sie heute Nacht Ihren Wagen verborgt?“
„Ja.“
„An wen?“
„An einen Offizier.“
„Wohin wollte dieser?“
„Nach Reichenstadt.“
„Wird er nicht ein anderes Ziel haben?“
„Nein. Er erkundigte sich nach vielerlei in diesem Ort.“
„Wie sieht Ihr Pferd aus?“
„Es ist ein Schimmel.“
„Danke! Adieu!“
Sie kehrten um. Der Wirt schaute ihnen, verdrießlich brummend, nach. Der Fürst gab, als sie an dem Chausseehaus vorüber waren, seinem Pferd die Sporen und rief dem Gefährten zu:
„Jetzt gilt es, unsere Tiere ausgreifen zu lassen, damit wir ihn einholen.“
Sie ritten abwechselnd Galopp und scharfen Schritt, wie das Terrain es erlaubte. Als sie Örau erreichten, hörten sie an der Chaussee-Einnahme, daß der Schimmel wirklich mit der Halbkutsche vorüber sei. So setzten sie guten Mutes ihren Ritt fort.
Sie mochten noch eine Stunde bis Reichenstadt haben, da kam ihnen ein – Schimmel mit einer Halbkutsche entgegen. Auf dem Bock saß ein Mensch, dem man schon von weitem den Hausknecht eines Dorfwirtshauses ansah. Die beiden Reiter hielten mitten im Weg, so daß er auch halten mußte.
„Wo kommen Sie her?“ fragte der Fürst.
„Von Reichenstadt.“
„Hatten Sie Passagiere?“
„Einen Leutnant.“
„Wo haben Sie ihn abgeladen?“
„In der ‚Goldenen Sonne‘ in Reichenstadt.“
„Will er dort bleiben?“
„Weiß nicht. Er hat sich Essen bestellt und scheint dann ein Reitpferd kaufen zu wollen.“
„Ah, schnell vorwärts!“
Sie ließen jetzt ihre Pferde nach Kräften ausgreifen, so daß sie die Stadt bereits nach einer guten halben Stunde erreichten. In der zweiten Straße bemerkten sie eine große goldene Sonne über einem Torweg. Sie stiegen dort ab. Der Hausknecht nahm ihre Pferde in Empfang. Der Fürst zog ihn in den Flur herein, damit man ihn nicht vom Fenster aus bemerken könne, und fragte:
„Ist bei Ihnen ein Offizier angekommen?“
„Ja, ein Infanterieleutnant.“
„Ist er noch da?“
„Ja, aber er will bald fort.“
„Befindet er sich im Gastzimmer?“
„Nein. Er ist einmal zum Löwenwirt gegangen.“
„Wissen Sie, weshalb?“
„Ja. Der Wirt hat ein Pferd zu verkaufen, und der Leutnant scheint eines zu brauchen.“
„So kommt er sicher wieder?“
„Ganz gewiß.“
„Sagen Sie ihm nicht, daß jemand nach ihm gefragt hat. Wird er in die Gaststube kommen?“
„Wohl schwerlich. Er hat auf einem Separatzimmer gegessen.“
„Schön. Was gibt es hier für Polizei?“
„Wachtmeister und Schutzmann, diese zwei.“
„Holen Sie diese beiden einmal herbei; sie werden mich in der Gaststube finden.“
Der Hausknecht ging kopfschüttelnd fort, nachdem er die Pferde in den Hof gebracht und dort angebunden hatte. Er fand die beiden Polizeiorgane im Rathaus und brachte sie herbei. Sie mußten sich zu dem Fürsten setzen, welcher sich bei ihnen erkundigte:
„Wissen Sie vielleicht, ob während der letzten Nacht an das hiesige Polizeiamt eine Depesche angekommen ist?“
„Ja, es kam eine.“
„Kennen Sie den Inhalt?“
„Natürlich.“
„Welcher ist es?“
Der Wachtmeister blickte den Fürsten von oben herunter an und fragte in
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