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64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte

64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte

Titel: 64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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anderen Angelegenheit. Sind Sie Herr Graveur Herold?“
    „Ja.“
    „Kennen Sie einen Juden namens Salomon Levi?“
    „Ja. Er ist unser Hauswirt.“
    „So, so! Sind Sie vielleicht heute bereits bei ihm gewesen?“
    „Vorhin.“
    „Hat er Ihnen etwas abgekauft?“
    „Ja“, antwortete der Gefragte, indem er den Arzt verwundert anblickte.
    „So komme ich also doch zu spät. Aber es wird sich hoffentlich nachholen lassen. Gehören diese anwesenden Personen alle zu Ihrer Familie?“
    „Nein. Diese Frau ist Heimbüglerin. Die Tote ist meine Schwiegermutter.“
    „Wann ist sie gestorben?“
    „Heute in der Nacht.“
    „So eilt es also nicht so sehr, sie fortzubringen. Das andere ist notwendiger.“
    Und sich an die Heimbüglerin wendend, fuhr er fort:
    „Liebe Frau, ich habe jetzt mit diesen Leuten eine wichtige Sache zu verhandeln, welche keinen Aufschub erleidet. Könnten Sie nicht wiederkommen?“
    „Ja, aber erst am Nachmittage.“
    „Desto besser. Man wird hier wohl früher auch keine Zeit haben. Also, gehen Sie jetzt.“
    Die Frau folgte dieser Weisung. Der Graveur ebenso wie seine Frau waren über das Auftreten dieses Mannes sehr verwundert. Zander blickte sich um und fragte:
    „Mir scheint, Sie sind arm?“
    „Sehr, Herr Doktor.“
    „Nun, der liebe Gott sorgt für alle; er wird auch Ihrer gedenken. Jetzt ist die fremde Frau fort, und ich kann also nun ohne Zurückhaltung sprechen. Was ist es eigentlich, was der Jude Ihnen abgekauft hat?“
    „Ein Lotterielos.“
    „Wie kam es, daß Sie es verkauften?“
    „Die Mutter war gestorben, und wir hatten kein Geld, sie zu begraben. Da verkauften wir das Los.“
    „Kamen Sie selbst auf diesen Gedanken? Besinnen Sie sich; es ist das von Wichtigkeit.“
    „Nein, ich kam nicht darauf. Ich ging zu dem Juden, um mir für eine Arbeit einen Vorschuß geben zu lassen. Er gab mir ihn nicht, aber er sagte mir, daß er mir das Los abkaufen wolle.“
    „Wieviel hat er Ihnen gegeben?“
    „Dreißig Gulden.“
    „Da waren Sie wohl ganz glücklich?“
    „Ach nein!“ sagte die Frau. „Ich hätte das Los sehr gern behalten, weil meine Mutter kurz –“
    „Pst!“ warnte ihr Mann. „Das ist Unsinn. Darüber darf man nicht reden. Du machst dich nur lächerlich.“
    „Lassen Sie Ihre Frau immerhin ausreden“, sagte Zander. „Ich werde nicht über sie lachen. Also, liebe Frau, was wollten Sie sagen?“
    „Daß ich das Los gar so gern behalten hätte.“
    „Warum?“
    „Meine Mutter sagte ganz kurz vor ihrem Tod, sie wolle den lieben Gott, sobald sie zu ihm komme, bitten, uns doch etwas gewinnen zu lassen; damit die Not nicht noch größer werde, und damit mein Mann sich schonen könne. Seine Augen sind so sehr schlimm.“
    „Wann war es, als Ihre Mutter das sagte?“
    „Nach Mitternacht.“
    „Und wann starb sie?“
    „Gleich darauf.“
    Es war ein Blick tiefster Rührung, welchen Zander auf die Leiche warf. Er trat aber zunächst auf den Graveur zu, zog ihn an das Fenster und sagte:
    „Augenkrank sind Sie? Hm! Zeigen Sie einmal her!“
    Er nahm ihm die Brille ab und untersuchte die Augen, so gut es ihm ohne mechanische und optische Hilfsmittel möglich war. Dann sagte er:
    „Haben Sie sich bereits untersuchen lassen?“
    „Mehrere Male. Zuletzt vom Armenarzt; einen anderen konnte ich leider nicht bezahlen.“
    „Was sagte er?“
    Herold warf einen besorgten Blick auf seine Frau.
    „Ich verstehe“, meinte Zander. „Er hat Ihnen etwas gesagt, was Sie Ihrer Frau verschwiegen haben?“
    „Ja“, gestand der Gefragte.
    „Mir können Sie es nicht verschweigen. Er sagte, daß Sie rettungslos einer vollständigen Erblindung entgegengehen. Nicht wahr?“
    Die Frau stieß einen Ruf des Schrecks aus.
    „Herrgott im Himmel!“ jammerte sie. „Hat er das wirklich gesagt, lieber Franz?“
    Der Mann antwortete nicht. Zander sagte:
    „Gestehen Sie es immerhin! Hat er es gesagt?“
    „Ja“, antwortete der Graveur.
    „Das hast du verschwiegen. Darum arbeitest du Tag und Nacht, um doch vorher noch etwas zu verdienen. Oh, du mein lieber Heiland! Blind, unrettbar blind! Dieses Unglück ist –“
    „Pst, liebe Frau, regen Sie sich nicht auf!“ fiel ihr Zander in die Rede. „Ich würde ihn nicht aufgefordert haben, es zu sagen, wenn ich nicht anderer Meinung wäre. Ärzte einer gewissen Schule halten dieses Übel allerdings für unheilbar, aber ich verspreche Ihnen, Ihren Mann so herzustellen, daß er in Beziehung auf sein Augenlicht mit keinem anderen

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